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Schritt für Schritt – Passo doppo Passo

Letzte Woche hatte ich eine beeindruckende Begegnung. Auf Einladung einer langjährigen Bekannten nahm ich im Kulturzentrum „Alter Schlachthof“ in Wels an einem Begegnungsabend mit einer Gruppe aus dem Piemont teil.

Schon seit einiger Zeit verfolge ich über face-book dieses Projekt einer „laizistischen Pilgerreise“ von Borgo San Dolmezzo nach Auschwitz. Eine Gruppe von Theaterleuten der Compania Il Melarancio um Gimmi Basilotta wandert, logistisch unterstützt, Schritt für Schritt entlang der Bahnstrecke, auf der im Februar 1944 von den Nazis eine Gruppe von 26 Juden, die im Polizeigefängnis von Borgo inhaftiert waren in das Vernichtungslager deportiert wurden.
Jeden Morgen um 8 Uhr wird vom jeweiligen Bahnhof losmarschiert, unterwegs trifft die Gruppe mit Menschen entlang des Weges zusammen, abends kommt es meist zu Begegnungen mit Menschen aus den jeweiligen Etappenzielen.
Über 70 mal, Etappe für Etappe, vom äußersten Westen Italiens, vom Piemont über die Lombardei, das Trentino, Tirol, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Mähren nach Schlesien. Dort liegt Auschwitz.
Die Gruppe durchwandert die Mitte Europas, wie es viele vor ihnen in der Geschichte auch getan haben. Sammelt Eindrücke, rekonstruiert Vergangenes, das sich den dazu Bereiten im allseits Gegenwärtigen darbietet. Behutsam, Schritt für Schritt, wie es nur Wandernden möglich ist.
Die Gruppe der Deportierten, deren nicht mehr vorhanden Spuren die Pilger so nahe wie möglich kommen wollen hatte diese Möglichkeit nicht. Eingepfercht in Güterwaggons der Deutschen Reichsbahn, verängstigt und geplagt von Ungewissheit haben sie wahrscheinlich wenig von der Gegend mitbekommen. Drei Tage dauerte ihre Fahrt in die Vernichtung.
Die laizistischen Wallfahrer wollen daran erinnern, sich selbst und alle Menschen, die ihnen auf ihrem behutsamen Weg durch die Mitte Europas begegnen.
Sie machen das zu einem Zeitpunkt, wo die Erinnerung an das Vergangene in selbstgerechter Ritualisierung erstarrt, während gleichzeitig die Bedingungen dafür, dass sich Geschichte wiederholen kann wachsen.
Es war beeindruckend, mit der Gruppe zu reden, über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. Es ist motivierend zu erfahren, was Erinnerung bewegen kann. Es ist notwendig nachzuahmen, was unsere Freunde aus dem Piemont tun, sich einzulassen, auf die Menschen, denen wir überall begegnen können, wenn wir uns die Zeit dazu nehmen.
Link zum Projekt: http://www.viaggioadauschwitz.com

Gerhard Botz ist 70 – Happy Birthday.

Letzte Woche vollendete Gerhard Botz, emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien seinen 70.Geburtstag. Er gilt als Begründer der Historischen Sozialwissenschaft in Österreich und international als der bedeutenste österreichische Faschismusforscher. Die beigefügte Rede habe ich am Freitag, den 18.3.2011 als laudatio anläßlich einer Feier in den Räumlichkeiten des Ludwig Boltzmann Geschichte Clusters in Wien gehalten.
„Querdenken als forschungsleitendes Prinzip – Gerhard Botz und der Versuch der sozialwissenschaflichen Wendung der Geschichtswissenschaft“ – Rede von Josef Weidenholzer

Diesen Vortrag zu halten ist für mich eine große Ehre und eine große Herausforderung. Eine Ehre, weil er über Gerhard Botz, einen Historiker von europäischem Rang han-deln soll, mit dem mich zudem eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet. Eine Herausforderung, weil ich kein Historiker bin und daher nicht über die inter-nen Befindlichkeiten der Disziplin Bescheid weiß und wohl auch nicht befugt bin, den Entwicklungsstand des Faches zu qualifizieren.
Mein Fach ist die Sozialpolitik. Meine Disziplin ist damit beschäftigt, das zu reparie-ren, was andere Disziplinen – insofern deren Prinzipien verabsolutiert und dogmatisch verengt zur Anwendung kommen – kaputt machen. Die Sozialpolitik wurde so in den letzten beiden Jahrzehnten zum Reparaturbetrieb der gesellschaftlichen Folgen der in ihrer Methodik neoklassisch und ihrer ideologischen Ausrichtung neo-liberal gewendeten Nationalökonomie.
Mein Interesse an der Geschichte ist nicht zuletzt aus diesen Gründen wieder er-wacht, insofern bin ich ein äußerst Interessierter. Vor allem aber auch als Politiker bin ich besorgt darüber, ob sich nicht manches zu wiederholen beginnt. Dieses durchaus praktische Interesse an Geschichte war es auch damals, das mich Anfang der 1970-er Jahre an das Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte und das mit ihm eng verzahnte Boltzmann Institut für die Geschichte der Arbeiter-bewegung an der damaligen Hochschule für Sozial -und Wirtschaftswissenschaften, der heutigen Johannes Kepler Universität in Linz brachte.
Seit dieser Zeit war ich in engem Kontakt mit Gerhard Botz, zunächst als Student, später dann als Kollege und Zimmergenosse am Institut. Die 1970-er Jahre waren Jahre der Veränderung und des Wandels. Hätte sich eine neugegründete Hochschule wohl bessere Startbedingungen wünschen können?
Bevor ich zum eigentlichen Kern meines Vortrages, der Frage, wie es zur sozialwissenschaftlichen Wendung der österreichischen Geschichtsforschung, insbesondere der Zeitgeschichte kam und welchen Anteil Gerhard Botz daran hatte, darf ich es nicht verabsäumen, die damalige Situation kurz zu skizzieren.
Österreich befand sich dank des neuen Schwungs, der mit Kreisky in die gemächlich vor sich hin treibende Politik Einzug gehalten hatte in einer Aufbruchsstimmung. Das Neue setzte sich gegen das Alte und das Originelle gegen das Einfallslose durch…

Perspektiven der Sozialwirtschaft im europäischen Kontext

Keynote Rede im Rahmen der INAS Fachkonferenz
von 24. – 25. Fenruar 2011 in Linz

Die Ausgangslage
Ich freue mich sehr über die Einladung, heute als key-note speaker das Wort bei dieser wichtigen Tagung ergreifen zu dürfen.
Ich empfinde es generell als wichtig, Impulse zu setzen, die über den Tellerrand der Suppe, die man tagtäglich auslöffeln muss, hinausweisen. Solche Initiativen verleiten ja auch dazu, darüber nachzudenken, ob man es nicht einmal mit einer anderen Kost versuchen sollte.
Jede Profession braucht diese Möglichkeit, nachzudenken, ob der Rahmen, in den man gesetzt ist noch der richtige ist, ob er veränderbar ist bzw. ob er verändert werden soll. Gibt es diese Möglichkeit nicht und ist die Profession dazu nicht bereit dann droht die vor Selbstzufriedenheit strotzende Routine in einem Stillstand zu münden, der häufig dem Kollaps vorher geht.
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Alles freiwillig

Letzte Woche fand in der Salzburger Resistenz unter großem Pomp der Österreichauftakt des Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft statt. Militärmusik (!?), Einsatzfahrzeuge der Blaulichtorganisationen, die Landeshauptfrau, der zuständige Bundesminister und das Staatsoberhaupt wurden aufgeboten, um zum Ausdruck zu bringen wie wichtig die Freiwilligentätigkeit für die Republik ist. Die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft nahmen das gerne zur Kenntnis. Dem Vernehmen nach war der Andrang so groß, dass bei weitem nicht alle Interessierten eingeladen werden konnten.
In den Festreden wurde ausführlich die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements und der ehrenamtlichen Tätigkeit gewürdigt und darauf hingewiesen welche großartigen Leistungen in Österreich auf diesem Gebiet erbracht werden.
So viel Lob hört man gerne, noch dazu wo diese Tätigkeit oft unbedankt geschieht.
Als wir vor ein paar Jahren begannen, auf europäischer Ebene die Ausrufung des Europäischen Jahres zu lobbyieren da hatten wir durchaus diesen Aspekt im Sinn. Wir wollten aber auch, vor allem in Zeiten der wachsenden Politikverdrossenheit und der um sich greifenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche, eine europäische Diskussion über die Notwendigkeit der Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements in Gang bringen, um die aktive Beteiligung der Menschen an der Lösung gesellschaftlicher Probleme zu stärken. Die Kräfte des Gemeinsinns sollten ein Forum bekommen.
In der Tat widerlegen ja die vielen Millionen Menschen, die sich freiwillig in den Dienst der Sache der Gemeinschaft stellen, ohne vom Staat dazu gezwungen oder von der Aussicht auf lukrative Bezahlung dazu bewogen zu werden, eindrucksvoll den Glaubensatz der Ökonomie, dass der Mensch ein homo oeconomicus ist. Menschen engagieren sich offensichtlich auch aus altruistischen Motiven.
Das Europäische Jahr sollte daher nicht nur zum Feiern animieren, vielmehr den Rahmen für eine überfällige Debatte liefern, wie die Freiwilligentätigkeit unter den geänderten Rahmenbedingungen noch wirksamer werden kann.
Freiwilligentätigkeit ist ein sehr wertvolles, ja kostbares Gut. Menschen, die sich dazu entschließen verdienen daher nicht nur öffentliches Lob, sie verdienen im Besonderen einen respektvollen Umgang.
Deren großzügiges Entgegenkommen, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, darf nicht missbraucht werden.
Gerade in Zeiten der Sparpakete geistern in den Köpfen so mancher politisch Verantwortlicher Ideen herum, die Sozialbudgets durch einen Ausbau der Freiwilligendienste entlasten zu können. Zumeist werden solche Phantasien auf dem Rücken der Frauen ausgelebt. Diese sollen sich wieder verstärkt der Pflege und Betreuung zuwenden und professionelle Dienstleistung ersetzen. Dies ist ein klarer Missbrauch der Freiwilligentätigkeit. Solchen Sandkastenspielen muss mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. Ebenso respektlos finde ich es, wenn von Jugendlichen bereits bei Studienbeginn oder bei der Arbeitsaufnahme erwartet wird, Erfahrungen im Sozialbereich vorzuweisen. Diese können zumeist nur im Wege der Freiwilligentätigkeit erworben werden. Es darf nicht sein, dass im Sozialbereich eine Generation von Menschen heranwächst, die sich durch kostenlose oder schlecht bezahlte Praktika auf ihre künftige Tätigkeit qualifizieren muss.
Wenn die politisch Verantwortlichen ihre Lobeshymnen auf Freiwilligkeit und Ehrenamt, auf aktive Bürgerschaft und ziviles Engagement wirklich ernst nehmen, dann müssen sie sich mit diesen Bedenken auseinandersetzen. Dann müssen sie einen kritischen Dialog führen, Wege der Partizipation beschreiten und die Zivilgesellschaft nicht als lästiges Bedrohungspotenzial empfinden, wie dies der Innenministerin regelmäßig passiert.
Dann sollten sie auch alles daran setzen, parteipolitische Vereinnahmung zu unterlassen, wie dies just zum Auftakt des Freiwilligenjahres der oberösterreichische Landeshauptmann tat, als er, mittels mit seinem Konterfei geschmückten Anzeigen in den regionalen Medien, den Menschen für ihre freiwillige Arbeit dankte. Da kann man nur sagen: Nein, danke!
Europäische Website:
http://europa.eu/volunteering/de/home2
Österreichische Website:
http://www.freiwilligenweb.at/

Wer zu spät kommt…………


Auf das österreichische Außenministerium ist Verlass. Seit Freitagnachmittag findet sich auf der Homepage neben den üblichen Hinweisen, nicht in das Grenzgebiet zum Sudan und zu Libyen zu reisen, Einkaufszentren, Moscheen und koptische Kirchen zu meiden und in den küstennahen Gewässern vor Sharm el Sheikh auf aggressive Haie zu achten, auch eine generelle Reisewarnung. Es wird auf das nächtliche Ausgehverbot hingewiesen. Wir erfahren darüber hinaus, dass dies für die Touristenorte Sharm el Sheikh und Hurghada nicht gilt. Für viele Landsleute scheint sich damit ein Drama anzubahnen. Was ist, wenn das nächtliche Ausgehverbot auch auf diese Region ausgedehnt wird? Den langersehnten Badeurlaub am Roten Meer absagen? Noch dazu jetzt, wo die Semesterferien vor der Tür stehen? Und überhaupt.
Für viele kamen die Entwicklungen überraschend. Ägypten, das sind die Pyramiden, Nilkreuzfahrten, kostengünstige Badeurlaube am Roten Meer und für besonders Wagemutige prickelnde Begegnungen mit einem Hai. Manche wissen auch, dass das Gros der immer freundlichen Kronenzeitungsverkäufer aus diesem Land stammt. Besonders empathische Landsleute sorgen sich um die mit Verfolgung und Unterdrückung konfrontierten koptischen Christen. Die politisch Informierten wissen das Land als ein Bollwerk gegen den immer stärker werdenden Islamismus in dieser Region zu schätzen. Und überhaupt wollen„wir“ nicht wirklich was mit denen zu tun haben.
80 Millionen Menschen, die alle an unsere Futtertröge wollen. Aber, keine Angst! Im abgelaufenen Jahrzehnt wurden lediglich um die 5000 davon in Österreich eingebürgert. Die Abschottung gegenüber Ägypten funktioniert. Auch im Kopf. Niemand hierzulande schien daran interessiert zu sein, dass am Nil schon seit einigen Jahren viele Menschen begonnen haben über eine demokratische Zukunft nachzudenken, in der Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit einen wichtigen Platz einnehmen sollen. Das Interesse der europäischen Politik daran hielt sich in Grenzen.
Zwar hat die Europäische Union im Rahmen des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) politische und soziale Reformen eingemahnt und in den letzten fünf Jahren € 30 Millionen, gerade einmal 7% der gesamten Mittel des Programms, für die Förderung einer „verantwortungsvollen Staatsführung“ zur Verfügung gestellt. Dabei wird explizit auf das Ziel der Stärkung der Zivilgesellschaft verwiesen und ganz auf die Sprache der Diplomatie fixiert, verlogen gefordert, „die ägyptischen Anstrengungen zur Förderung der Versammlungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit und zur Verteidigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Unabhängigkeit der Medien“ zu unterstützen.
So ist es leider, wenn Europa gefordert ist. Man erkennt das Problem, setzt Maßnahmen, halbherzig und unbestimmt, und wird von den Entwicklungen überrascht. Mit elementarer Gewalt verschafft sich dann die Geschichte Platz und schafft Fakten.
Uns bleibt der Trost: Wir hätten es ja gewusst und beinahe wäre es uns auch gelungen, dabei zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Beinahe eben. Oder wie es der Volksmund sagt: „Wenn das Wörtchen wenn nicht wär….“

Was geht uns Ungarn an?

Es braut sich etwas zusammen bei unseren ungarischen Nachbarn. Das Land ist aus den Fugen geraten. Wie bei einem Erdrutsch. Bislang scheinbar Festgefügtes gerät in die Mühle eines zähen und stetigen Vorgangs, dem nichts standhält, wenn es einmal davon erfasst ist. Victor Orban hat bei den Parlamentswahlen im Frühling letzten Jahres in der Tat einen Erdrutschsieg errungen: Mehr als fünfzig Prozent. Nach dem ungarischen Wahlrecht, das dem liberalen Geist der Wendejahre entsprechend Mehrheiten begünstigt, bedeutet das eine satte Zweidrittelmehrheit und einen Freibrief für Machtbesessene. Machtbesessen ist er, der Herr Orban. Lange brauchte er, um seine Abwahl als Ministerpräsident im Jahr 2002 und die knapp verfehlte Rückkehr vier Jahre später zu überwinden. Fortan setzte er alles daran, die sozialistische Regierung zu destabilisieren. Was durch deren desaströse Fehler zweifellos erleichtert wurde.
Der „Puszta –Putin“, wie ihn die bürgerliche deutsche „Welt“ nennt, konnte vor allem auch deswegen reüssieren, weil die wirtschaftliche Lage des Landes katastrophal, die sozialen Auswirkungen der Reformen schrecklich und die Stimmungslage in der Bevölkerung, insbesondere bei den Modernisierungsverlierern, depressiv und verzweifelt war.
Ganz unschuldig an der Misere, die er erfolgreich den Sozialisten anlastete, war er freilich nicht, hatte er doch in seiner ersten Amtszeit, als er noch Vizepräsident der Liberalen Internationale war, einen eindeutig wirtschaftsliberalen Kurs verfolgt.
Zum Konservativen mutiert hielt er es künftig mit traditionellen Werten und der Vorliebe für autoritäre Lösungen. Besonders aber hat es ihm die Vergangenheit angetan. Der Vertrag von Trianon (1920) beispielsweise. Dieser hatte das Land auf seine heutige Größe reduziert und wird von ungarischen Nationalisten zur nationalen Demütigung stilisiert.
Orban spielte gekonnt auf dem nationalen Klavier und das ganze Land versank in einem nationalen Rausch. Schuld an der ungarischen Misere waren fortan das Ausland oder die Juden. Die Schmach, die man den Ungarn einst angetan hatte, müsse getilgt werden.
Auf dieser nationalistischen Welle wurde Orban zum Sieg getragen. Doch der Geist ist – einmal geöffnet – aus der Flasche gefahren. Neue radikalere Strömungen wie die rechtsradikale Jobbik Bewegung – Herrn Straches ungarische Freunde – reden bereits offen einer Revision der Grenzen das Wort, prügeln auf Roma ein und greifen zu wilden Verschwörungstheorien.
Orban steht unter Druck. Unter dem der militanten Rechtsableger und dem, den er sich selbst mit seinen vollmundigen Versprechungen auferlegt hat. Ungarn soll sich radikal verändern, rasch und nachhaltig. Jene, die sich in den Weg stellen werden aus dem Weg geräumt. Anlassbezogen wird die Verfassung verändert, ein untrügerisches Zeichen für autoritäre Regime. Von „nationalen Angelegenheiten“, von der Pflicht zur „nationalen Zusammenarbeit“ ist die Rede, und der 4. Juni wird zum Tag der „Nationalen Einheit“ erklärt, im Gedenken an den „Diktatfrieden“ von Trianon, um „alle Landsleute in der Region an die größte Tragödie Ungarns im 20. Jahrhundert“ zu erinnern. Die Region da ist nicht nur Ungarn, das ist die Slowakei und Rumänien, aber auch Kroatien, die Vojvodina, die Karpato – Ukraine und das Burgenland.
Abgesehen davon, dass es wohl größere Tragödien in der Geschichte Ungarns gegeben hat, ist dieser Akt eine revanchistische Provokation sondergleichen: Aufruf zu nationalistischen Querelen, Anstiftung zu Missachtung und Hass bis zur Forderung nach Revision der Grenzziehung. Und das im Vereinten Europa! So, als ob es nach dem großen Krieg, der im Übrigen eine Revision des „Friedensdiktates“ von Versailles zum Ziel hatte, keinen Versöhnungsprozess gegeben hätte. Die Vorgänge in Ungarn sprechen der europäischen Idee Hohn aus.
Das alles ist brandgefährlich. Auch in Jugoslawien hat es ähnlich begonnen, als der Nationalismus begann, die Gehirne der Menschen zu zersetzen. Lassen wir es nicht zu, dass der ungarische Bazillus ganz Europa befällt. Der Nationalismus bedroht den Frieden und gefährdet den Wohlstand. Die Zukunft Europas wird heute in Ungarn verteidigt.

„Es wäre besser, wenn das Land einen König hätte oder eine Königin“

Seit Tagen geht mir ein Interview, das Conny Bischofberger im Neujahrs-Kurier mit dem österreichischen Milleniumsbaby führte, nicht aus dem Kopf.
Das junge Fräulein hat gerade ihren zehnten Geburtstag hinter sich gebracht und lebt mit Ihrer Mutter, einer Katze und zwei Echsen in einer kleinen, liebevoll eingerichteten Gemeindewohnung im Pirquethof in Wien – Ottakring. Die öffentlichen Flächen in der Wohnanlage meidet sie, weil „dort so viele Ausländerkinder sind“. Diese mag sie nicht, weil sie auf „Türkisch und Jugoslawisch“ mit ihr schimpfen, die „Fahrräder zerlegen“ und die „Bänke beschmieren“. Und „wenn der Hausbesorger die Stiege geputzt hat, spucken sie drauf.“ Cleopetra hingegen – auch ein „Ausländerkinderkind“ – mag sie. Mit ihr geht sie gemeinsam zur Schule.
Die kleine Beatrice scheint ein nettes, vernünftiges und wohlerzogenes Mädchen zu sein, sie ist lieb zu ihren Tieren und lernt in der Schule, wie man sich selbst organisiert. Sie ist mit ihrem Leben zufrieden, sparsam und auch auf dem neuesten Informationsstand: Sie selbst liest Heute und über die Omis hat sie Zugang zum Kurier und zur Kronenzeitung.
Reiche mag sie nicht, die findet sie zickig und ekelhaft: „Lieber nett sein und nicht so viel Geld haben.“ Politiker findet sie langweilig und streitsüchtig, obwohl sie eigentlich „nur den Netten, Dicken … den Bürgermeister“ kennt. Am besten wäre es, wenn das Land eine Königin hätte: Miley Cyrus, Katy Perry oder Lady Gaga etwa.
Wie soll man das bewerten? Als Menetekel, was auf uns in zehn oder zwanzig Jahren zukommen wird? Als Signal, nun endlich etwas zu tun und die Sorgen der Menschen ernst zunehmen, auch wenn man die Dinge anders einschätzt? Als Aufforderung, endlich in Politische Bildung zu investieren? Oder ist es einfach ein Gespräch mit einem (fast noch) Kind? Letzteres trifft auf jeden Fall zu. Aber heißt es nicht auch zutreffend: „ Kindermund tut Wahrheit kund.“
Außerdem sollte man die Rolle der Interviewerin hinterfragen. Interviews mit Kindern sind zumindest aus sozialwissenschaftlicher Sicht mit allergrößter Sorgfalt zu führen. Könnte es nicht sein, dass sich die Journalistin allzu selbstverständlich vom Vordergründigen leiten ließ und somit Vorgefasstem Vorschub leistete? Viel Prosa und wenig valide Fakten. Eine gute Story.
Und wenn dem so wäre, dass die vorgefasste Meinung solche Bilder präferierte, wäre das dann nicht das eigentliche Problem? Medien, die das Politische konstant heruntermachen, indem sie dessen Problemlösungsfähigkeit negieren und seinen AkteurInnen bloß Langeweile attestieren, mögen zwar in Detailaspekten Recht haben, insgesamt aber unterminieren sie die Legitimität der Demokratie.

Die Mühen der Studiengebühren

Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende der SPÖ hat vergangene Woche dankenswerterweise ein Machtwort gesprochen und die Debatte um die Studiengebühren für beendet erklärt. Vorläufig.
Schon regen sich wieder die Stimmen aus der sozialdemokratischen Provinz. Es dürfe kein Denkverbot geben und vor allem müsse ein „fairer Zugang“ zum Studium gewährleistet werden, so die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller laut Kurier. „Die SPÖ sei eine „Gerechtigkeitspartei. Es kann doch nicht möglich sein, dass Eltern bis zu 300 Euro im Monat für Kindergarten oder Krabbelstube zahlen, aber 360 Euro pro Semester sind unmöglich.“
Im immer mehr zu einer neoliberalen Postille mutierenden Standard bläst Eric Frey, der sich zum Ziel gesetzt hat „komplexe wirtschaftspolitische Fragen leicht verständlich zu beschreiben“ zum Generalangriff gegen das kostenfreie Studium: Wie in der Sowjetunion – kommunistische Planwirtschaft! titelt er und setzt fort: „Wenn das Studium für all jene, die es sich leisten können, etwas kosten würde, dann gingen nur die Studieren, die es wirklich wollen.“

Beide Wortspenden zeugen von einer fundamentalen Unkenntnis der Sachlage, garantieren aber eine Prolongierung der Debatte.
Das neoliberale Argument des Herrn Frey ist pure Ideologie und durch die Realität nicht belegbar. Ärzte und Rechtsanwälte, die ihre Praxen weitervererben wollen, freuen sich wahrscheinlich über eine derartige Sichtweise der Dinge und sind sicher bereit, tief in die Tasche zu greifen, um auf diese Weise einen Studienplatz zu sichern. Man könnte auch sagen: Wer zahlt, schafft an. Manche sagen: Was nichts kostet, ist nichts wert.
Die Forderung nach Studiengebühren ist ein beliebtes Sujet im Sammelsurium neoliberaler Gemeinplätze. Ideologie eben. Keines der Probleme, an denen die Universitäten gegenwärtig leiden, wird dadurch aus der Welt geschafft. Studiengebühren eignen sich weder dafür, den Zugang zu regulieren noch lösen sie die finanziellen Engpässe. Vielmehr sind sie Ausdruck des Versuches der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.
Der freie Zugang zur Bildung ist die Antithese zu diesen neoliberalen Umdeutungs- und „Reform“-Phantasien. Die Sozialdemokratie hat sich diesbezüglich programmatisch immer eindeutig deklariert.
Daher ist es auch befremdlich, wenn gerade aus ihrem Umkreis Stimmen laut werden, die den Zugang zum Universitätsstudium mittels sozial gestaffelter Studiengebühren gestalten wollen. Soziale Gerechtigkeit lässt sich nicht durch eine sozial definierte Einschränkung von Rechten erzielen, sondern durch deren universelle Gewährleistung. Umverteilung, ohne die es keine soziale Gerechtigkeit gibt, ist eine Sache des Steuersystems, Vermögen zu besteuern daher ein dringender Reformbedarf.

Arigona

Bin sehr froh, dass die Zogajs wieder zurückkehren durften. Immer hin haben wir im Sommer der Familie zur Ausreise geraten.
Eine Verweigerung der Einreise durch die österreichischen Behörden hätte fatale Folgen gehabt. Glücklicherweise haben sie sich diese aber an ihre eigenen, zuweilen bizarren Regeln gehalten. Nunmehr kann niemand mehr behaupten, die Zogajs wären illegal eingereist.
Die Familie hat erstmals eine reelle Chance, ein normales Leben zu führen.
Leider sind noch einige zusätzliche bürokratische Hindernisse zu überwinden, aber wir sind diesbezüglich zuversichtlich.
Es ist jetzt wichtig, die Familie jetzt in Ruhe zu lassen und ihr die Möglichkeit zu geben ihr Leben so zu führen, dass sie nicht auf Schritt und Tritt von Fernsehkameras und Paparazzis verfolgt werden. Meine Bitte an alle, diesen Wunsch der Familie zu akzeptieren.
Arigona und ihre Familie haben Glück gehabt. Auch deswegen, weil sich Tausende für sie eingesetzt haben. Viele andere wurden abgeschoben und viele sind derzeit von Abschiebung bedroht. Jeden Tag und gnadenlos schlägt die Abschiebeindustrie zu. Viele Menschen leben mit der Angst, dass es an der Türe klingelt und sie aus ihrem gewohnten Leben gerissen werden.
Es ist höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden. Deshalb fordern wir: Bleiberecht jetzt! Alle Menschen, die länger als fünf Jahre hier sind und sich keiner krimineller Vergehen schuldig gemacht haben sollen hier bleiben können. Subito!

Den Bock zum Gärtner machen

Das Vereinigte Königreich hat budgetäre Probleme, große. Die gegenwärtige Regierung aus Konservativen und Liberalen nutzt diese Gelegenheit zu einer Totalreform des Staates. Die Staatsausgaben sollen drastisch reduziert werden. Zum einen, indem man Personal abbaut und zum andern, indem Aufgaben zurückgenommen werden.
Das liegt ganz auf der Linie, die David Cameron schon zu Beginn seiner Amtszeit im Mai dieses Jahres angekündigt hatte: Ein abgeschlankter (also schwacher) Staat, dafür aber mehr gesellschaftliche Verantwortung. “Big Society” nannten das die Spindoktoren. Manche dachten, das wäre ein Fortschritt gegenüber Margaret Thatcher, die apodiktisch festzustellen pflegte: “There is no such thing as society”.
Der Gesundheitsminister Andrew Lansley ist der erste, der zeigen soll, wie man mit weniger Regeln und staatlichen Vorschriften größere Wirkung erzielen kann. Ausgerechnet im Bereich der Gesundheitsprävention.
Schon lange waren so manche Überlegungen aus dem Bereich der Public Health der Industrie suspekt. Etwa das “traffic light labeling”, das die Konsumenten und Konsumentinnen beim Kauf von Lebensmitteln bereits im Supermarkt über mögliche gesundheitsschädigende Wirkungen informieren sollte. Mehrere hundert Millionen Euro wurden investiert, um dessen Einführung auf europäischer Ebene zu verhindern. Mit dabei zum Beispiel die Supermarktkette Tesco, die Nahrungsmittelkonzerne Unilever, Kraft und Kellog’s.
Im Übrigen zeigten sich dieselben und ähnliche Firmen auch im Wahlkampf spendabel, zumeist für die Tories, mitunter auch für die LibDems.
Andrew Landsey möchte den modernen Volkskrankheiten – der rapid um sich greifenden Fettleibigkeit, dem exzessiven Alkoholkonsum der Briten und den ernährungsbedingten Erkrankungen – den Kampf ansagen, auch um die Gesundheitsausgaben zu dämpfen.
Allerdings soll es keine staatlichen Verbote oder Lenkungsmechanismen wie höhere Preise für Alkohol und Junk-Food geben. Das Verhalten der Menschen soll sich ändern, in dem diese mehr Selbstverantwortung übernehmen.
In fünf Arbeitskreisen soll dieser Politikwechsel vorbereitet werden. Mit dabei an vorderer und leitender Stelle, Repräsentanten von……………….Kellog’s, McDonald’s , KFC, Pepsi, Unilever, Mars oder der Wine and Spirit Trade Association. Auch die Sitzungskultur soll sich ändern. Nicht von Ministerialbeamten vorbereitete Papiere sollen diskutiert, sondern inputs aus der business community.
Da ist nicht mehr viel übrig geblieben von “Big Society”. Big Business rules.
Bild von diepresse.com