Ein Blog über den Aufenthalt in Griechenland anässlich der Gründung der griechischen Schwesterorganisation der Volkshilfe
Samstagnachmittag: Ich bin auf dem Heimflug von Athen, der bald in eine Zugfahrt nach Oberösterreich übergehen wird. Ich freue mich auf ein (verkürztes) Wochenende, noch dazu, wo mich mein Horoskop – an das ich zwar prinzipiell nicht glaube – wissen lässt, dass es mir „mehr als nur gut“ tun würde, mir „mehr Zeit für die Familie zu nehmen“ und dass ich „so richtig ausspannen“ sollte. Ich werde mich dem Hinweis mit großem Enthusiasmus zuwenden, weil ich ob der Erlebnisse der vergangenen Tage in guter Stimmung bin. Drei Tage, genau gesagt zwei halbe und einen ganzer Tag, war ich nun in Griechenland. In einem Land, das ich über alles liebe, und mit dem mich wunderbare Erinnerungen verbinden. Ein Land, das zum Synonym für die gegenwärtige europäische Krise geworden ist.
Am Donnerstag bin ich nach der Plenarversammlung des EP in Straßburg Richtung Athen geflogen, weil ich unbedingt dem Drängen meines langjährigen Freundes Lambros Moustakakis folgen wollte, der bei der oberösterreichischen Volkshilfe beschäftigt ist. Seit Ausbruch der Griechenlandkrise hatten wir darüber diskutiert, die Gründung einer Schwesterorganisation der Volkshilfe in Griechenland zu betreiben. Ein Projekt neben vielen anderen zunächst. Lambros erinnerte mich, dass ich ihm ungefähr vor einem Jahr direkt aus einer Sitzung der S&D Fraktion im EP, bei der es wieder einmal um das leidige Griechenlandthema ging, eine SMS schickte, dass wir das jetzt endlich angehen sollten. Er hatte in der Zwischenzeit Leute um sich gesammelt und sie dafür interessiert, aktiv zu werden, „Ownership“ über die Vorgänge in ihrem Land zu übernehmen. Ich war angetan von der Gruppe, die mich die ganze Zeit über begleitete: Alles Menschen, denen es im Vergleich zum Rest der Bevölkerung gut geht: Anwälte, Freiberufler oder Kleinunternehmer. Allesamt Demokraten, die besorgt sind, dass die aus dem Nichts zu Gewicht gelangten Neonazis politischen Einfluss erlangen könnten. Humanisten, die es nicht hinnehmen wollen, dass die mehr als eine Million „irreguläre“ Zuwanderer als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Allesamt Patrioten, die ihr Land lieben und deshalb mit Überzeugung proeuropäisch sind. Realisten, die sehen, welche desaströse Ergebnisse die Austeritätspolitik der Troika zeigt und die ganz klar wissen, dass es vor allem an Griechenland liegt, das bisherige Verständnis von „governance“ drastisch zu verändern. Menschen, die als Bürger aktiv werden und Verantwortung für das Gemeinwesen unternehmen wollen. Manche von ihnen sind von der Politik enttäuscht und haben sich trotzdem ihre linken Träume nicht nehmen lassen. Sie erinnern sich an Lambrakis, an den Kampf gegen die Obristen und leiden darunter, dass die griechische Politik, deren Idealen sie einst anhingen, zu einem klientelistischen Selbstbedienungsbetrieb degenerierte.
Vor allem leiden sie an der gegenwärtigen Situation in Griechenland, an der scheinbaren Ausweglosigkeit und daran, dass alles zum Stillstand zu kommen scheint: Mehr als ein Viertel der Bevölkerung bzw. fast drei Viertel der Jugendlichen sind arbeitslos. Liegenschaften sind wertlos, überall ist an den leeren Geschäftslokalen zu lesen, was zu vermieten bzw. zu verkaufen ist. Sie wollen es nicht hinnehmen, dass sich die Armut ins Herz der Gemeinschaft frisst und Familien zerstört. Dass Menschen, wenn sie krank sind, keinen Zugang zum Gesundheitssystem finden und dass der Hunger immer häufiger zum alltäglichen Begleiter wird. Wir hatten viele Gespräche mit Politikern auf nationaler wie auf kommunaler Ebene, trafen Betroffene und Experten. Nicht nur um die schlimme Situation zu beklagen, sondern auch, um nach Wegen aus dem Dilemma zu suchen. Sie wollen sich engagieren, sie wollen ihrem Land dienen, freiwillig und ohne finanzielle Interessen. Sie wollen es tun, weil sie wissen, dass sie mit ihrer Parteinahme für das Gemeinwohl andere anstecken werden. Ich bin sehr stolz, dass sie sich dazu in der griechischen Volkshilfe zusammengefunden haben und dass sie von unseren Erfahrungen lernen und unseren Rat suchen wollen.
Vielleicht ist es doch nicht unvermeidlich, dass in Europa alles nur zum Negativen gerät. Vielleicht lässt sich doch etwas bewegen.
http://www.youtube.com/watch?v=hRyZbGHBuHg