Während des NR-Wahlkampfes hatten sich Österreichs jetzige Nr. 1 und Nr. 2 einen Wettkampf geliefert, wer von beiden den besseren Kontakt zu Ungarns starkem Mann Viktor Orbán hätte. Alles drehte sich damals um die zum wichtigsten Thema hochstilisierte „Flüchtlingsfrage“.
Vorbild Orbán
Es wie Orbán machen, das war ein Versprechen mit dem man – gar nicht zu Unrecht – glaubte, punkten zu können: Abschottung, Sicherung der Grenzen und Obergrenze gleich null. So wirklich konkret wurde man ja nicht. Ging es doch in erster Linie darum, Gefühle zu bedienen, Ängste zu schüren und vor allem abzulenken. Viktor Orbán, das war und ist für die Angstmacher in der europäischen Politik das große Vorbild. Die CSU lädt ihn als Stargast zur jährlichen Klausur und Strache tut kund, dass er gerne eine absolute Mehrheit hätte, um es genauso wie er machen zu können. Sebastian Kurz hat ihn nun nach Wien eingeladen. Als ersten ausländischen Regierungschef. Wenn das keine Wertschätzung ist. Was lässt einen zum Orbán- Bewunderer werden? Die wirtschaftlichen Erfolge des Landes können es nicht sein, auch nicht das Gesundheitswesen oder das Bildungssystem. Viele sind vom Puszta-Putin fasziniert, weil er sich trotz dieser negativen Bilanz mühelos an der Macht halten kann. Orbán ist ein notorischer Provokateur, der sich über den Common Sense und über allgemein akzeptierte Gepflogenheiten hinwegsetzt, den Kompromiss verabscheut und Institutionen aushöhlt. Er ist ein Meister der Propaganda, deren Wirkung dann am größten ist, wenn es im Volk brodelt, wenn sich das Land in einem permanenten Erregungszustand befindet. Dafür muss mitunter nachgeholfen werden: Islam-Invasion, das böse Brüssel, Soros-Plan. Immer etwas Neues, die Gemüter erregendes, Wahrheitsgehalt nachrangig. Hauptsache, die Untertanen fühlen sich bedroht, haben Angst.
Immer wenn Orbán Angst hat…
Auch Orbán hat Angst. Allerdings nicht vor dem Islam, nicht vor Brüssel und auch nicht vor Soros. Letzterem verdankt er sogar sehr viel. Und auch mit der islamischen Welt hat er keine Probleme. Erdogan und Alijew gehören zu seinen Freunden und mit den Golfstaaten gibt es gemeinsame und äußerst ertragreiche Projekte. Orbán hat panische Angst abgewählt zu werden. Das ist ihm schon einmal passiert: 2002. Zwei Perioden musste er warten, bis er 2010 wieder drankam. Das sollte ihm nicht mehr so leicht passieren. Deswegen änderte er die Verfassung, verschaffte den ungarischen Volksgenossen in den Nachbarländern Staatsbürgerschaft samt Stimmrecht, adaptierte das Wahlrecht und schränkte die Pressefreiheit ein. Trotzdem begann sich bald nach seiner Wiederwahl eine gefährliche Vertrauenskrise abzuzeichnen. Große Demonstrationen, vor allem junger Menschen ließen ihn unsicher werden. Er schien angezählt. Im Frühjahr 2015 startete er zu einer Gegenoffensive. Es galt den Erregungspegel zu erhöhen. Nur so ließ sich die öffentliche Aufmerksamkeit von der immer sichtbarer werdenden Korruption ablenken. Zuerst versuchte er es mit der Todesstrafe und dann mit den Flüchtlingen. Eine Anzeigen- und Plakatkampagne (in ungarischer Sprache) an die im Lauf des Sommers immer mehr werdenden Flüchtlinge: „Wenn Du nach Ungarn kommst, darfst Du keine ungarischen Jobs wegnehmen!“, heizte die Stimmung an. Das Ganze war Teil einer manipulativen Befragung, die sich offiziell Nationale Konsultation nennt und vom Staat finanziert wird. In diese Stimmung hinein ließ er seine Ankündigung platzen, an der Grenze zu Serbien einen Stacheldrahtzaun zur Flüchtlingsabwehr zu errichten.
Die ganz große Nummer
Endlich war er da, der ersehnte Ausnahmezustand. Jetzt schlug Orbáns große Stunde. Nun konnte er endlich das sein, was er immer sein wollte: Vorbild für ganz Europa und Taten setzen, ohne sich mit den anderen konsultieren zu müssen. Mit seinem populistischen Aktionismus verhinderte Orbán freilich die Findung eines europäischen Lösungsansatzes. Dass seine Ankündigung wie ein Brandbeschleuniger wirkte und den Flüchtlingsstrom erst so richtig in Gang setzte, konnte ihm nur recht sein. Wurde er doch durch den dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen nur darin bestätigt, dass es starke und entschlossene Männer, wie ihn brauchte, um die Heimat gegen eine behauptete Invasion der Fremden zu schützen. Handeln ohne Rücksicht auf die anderen. Als er die Lage nicht mehr in den Griff bekam und der Keleti Bahnhof in Budapest von Flüchtenden überquoll, weil der Grenzzaun noch nicht fertig war, ließ er Busse anmieten. Möglichst schnell weg mit den Flüchtlingen an die österreichische Grenze. Er zwang damit Merkel und Faymann die Grenze als geöffnet zu erklären. Ein Schritt, der nachträglich zur Einladungsgeste umgedeutet wurde. Symbolpolitik siegt über Realpolitik, könnte man die Tragödie des September 2015 auch nennen. Bald wurde es en vogue sich Orbán anzuschließen. Zunächst einmal die illiberalen osteuropäischen Nachbarn, dann Bayern und schließlich Sebastian Kurz, der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hatte. Alle glaubten damit beim Wahlvolk zu punkten. Eine realpolitische Lösung blieben sie allerdings schuldig.
Tarnen und Täuschen…
Auch die sogenannte Schließung der Balkanroute war ein Fake. Als schon klar war, dass die Türkei im März 2016 die Ägäisroute abriegeln würde, wurde zehn Tage vorher mit großem Propagandaaufwand die Balkanroute geschlossen. Diesmal ganz vorne dabei unser gegenwärtiger Bundeskanzler. Die offiziell verkündete Schließung sorgte für großes Aufsehen, hatte aber lediglich eine Verzögerung und Verlangsamung der Flüchtlingsströme zur Folge und konnte nicht verhindern, dass ein Großteil der Menschen trotzdem in die gewünschten Zielländer gelangen konnte. Vor allem brachte die Maßnahme kriminelle Schleppernetzwerke ins Geschäft. Festzuhalten ist auch, dass ein beträchtlicher Teil davon über Ungarn in den Westen gelangte. Weshalb die Zahl der Asylwerber drastisch zurückgegangen ist, hängt ursächlich mit dem Türkei-Deal zusammen. Die Effekte der Schließung der Balkanroute werden gewaltig übertrieben. Und Orbán hat vor allem nicht erreicht, was er nach außen hin immer behauptet und vorgibt: Ungarn erfolgreich vor dem Zuzug Fremder abzuschotten.
Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass das Land klammheimlich 1.300 Flüchtlingen Asyl gewährt hatte. Exakt jene Zahl die von der in der Öffentlichkeit angefeindeten Europäischen Kommission verlangt worden war. Diese Information hatte man auch an die Kommission kommuniziert, während man der ungarische Öffentlichkeit ein anderes Stück vorspielte. Orbán hatte auch jahrelang zahlungskräftigen Interessenten eine „Permanent Residency“ mit der Option auf Staatsbürgerschaft ermöglicht. Gegen Geld natürlich. Gut 20.000 Personen zahlten insgesamt über eine halbe Milliarde Dollar an dem Regierungschef nahestehende Firmen, dass sie sich frei und ungehindert im Schengenraum bewegen dürfen. Das war sogar der rechtsextremen Jobbik Partei zu viel. Um deren Unterstützung für eine allfällige 2/3 Mehrheit nicht zu verlieren wurde das Programm vorübergehend aufs Eis gelegt. Wenn man sorgfältig die Entwicklung in Ungarn beobachtet, dann fällt es wirklich schwer auch nur ansatzweise Positives zu erkennen. Lüge und Propaganda haben sich festgesetzt, die Korruption hat alle Lebensbereiche erfasst und die Wirtschaft funktioniert deswegen noch, weil sie am Tropf des viel geschmähten Brüssel hängt.