Genau vor einem Jahr, da war ich überglücklich. Ein dreimonatiger Wahlkampf war zu Ende gegangen. Tag für Tag war ich unterwegs gewesen. Tausende Menschen hatten mir ihre Sorgen anvertraut, noch mehr – mir zugehört. Hunderte unterstützten mich freiwillig in der „Pro Joe“-Bewegung. Wesentliches Erfolgskriterium war eine voll motivierte Parteibasis. Geld hatten wir fast keines. Eher No-Budget als Low-Budget.
Am Ende waren es mehr Vorzugsstimmen, als wir Euros zur Verfügung hatten. 28.328, davon fast 25.000 in Oberösterreich.
Ein solches Ergebnis verpflichtet. Vor allem zu inhaltlicher Arbeit. Ich hatte ja im Wahlkampf immer betont, wie viel man durch Sacharbeit im Europaparlament erreichen kann. Ich versuchte, mich daher, soweit möglich von den üblichen Machtspielen fernzuhalten. Einerseits wollte ich meine bisherige Arbeit im Innenausschuss und im Binnenmarktausschuss fortsetzen, weil mir noch vieles unerledigt schien.
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Andrerseits wollte ich auch stärkere politische Inhalte setzen. Ich war daher sehr erfreut, als ich Mitglied des Menschenrechtsausschusses wurde und mich die Fraktion zum Menschenrechtssprecher machte. In dieser Funktion bin ich für die dringlichen Anfragen des Parlaments zu Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Ich mache das sehr gerne, weil ich etwas bewirken kann. Der Druck Europas hilft. Es ist immer wieder ein befriedigendes Erlebnis, wenn wegen unseres Druckes Menschen freigelassen werden oder Regierungen von menschenrechtswidrigen Praktiken ablassen. Besonders aktiv sind wir im Mittleren Osten. Ich war hauptverantwortlich für die klare und eindeutige Kritik des Europaparlaments an Saudi Arabien und habe mich in vielfältiger Weise für die verfolgten Jesiden und Christen in der Region eingesetzt.
Lösung des Flüchtlingsproblems
Ich habe die Region auch bereist, war im Nordirak, im Iran und im Libanon und die Probleme der Flüchtlinge und Vertriebenen aus eigener Anschauung kennengelernt. Hier liegt der Schlüssel zur Lösung des Flüchtlingsproblems.
Wenn es uns nicht gelingt, die Lage in der Region zu stabilisieren, dann werden wir auch nicht in der Lage sein, das Migrationsproblem zu lösen. Dazu braucht man Offenheit und Vernunft, Geduld und die Bereitschaft zu pragmatischen Lösungen. Schuldzuweisungen und Hetze lösen das Problem mit Sicherheit nicht. Sie schaffen noch mehr Unsicherheit.
Im Innenausschuss beschäftigen wir uns permanent mit dieser Entwicklung. Das Parlament war maßgeblich daran beteiligt, dass es zu einem Stimmungsumschwung auf europäischer Ebene gekommen ist. Weg vom ungerechten, nicht-funktionierenden Dublin System hin zu einem gerechten Verteilungsschlüssel und zu humanitären Einreisekorridoren. Es ist noch viel zu tun, damit aus diesen neuen Ideen auch eine neue Realität wird. Aber es darf nicht sein, dass jährlich tausende Menschen, beim Versuch das Mittelmeer zu überqueren ertrinken.
Irak_Joe
Genauso wenig darf es sein, dass wir im Internet auf Schritt und Tritt überwacht werden und Firmen mit unseren Daten Geschäfte machen, ohne dass wir ihnen unsere Einwilligung dazugegeben haben. Sicherheit gibt es nur dann, wenn die Menschen auch die Gewissheit haben können, dass ihre individuelle Freiheit respektiert wird. Meine gegenwärtigen Berichte, wie die Verordnung zu Europol, der Bericht zu Technologie und Menschenrechte, sowie die Richtlinie zur Erdbeobachtung durch Satelliten haben alle damit zu tun. Die Weiterarbeit am Datenschutzpaket hat für mich oberste Priorität. Unser Leben ist weitgehend digital bestimmt. Auch wenn das alles für manchen konservativen Politiker, wie den deutschen Kommissar Oettinger offensichtlich noch immer Neuland ist.
Gemeinsam mit Abgeordneten der Europäischen Volkspartei, den Piraten und den Liberalen habe ich eine parteiübergreifende Intergroup „Digitale Agenda“ gegründet, der mehr als 70 Abgeordnete angehören. Unsere monatlichen Veranstaltungen finden großen Zuspruch, weil wir industrieunabhängig agieren und damit das wichtigste Korrektiv zum etablierten Politikbetrieb darstellen. Die Sicherung der Netzneutralität ist eines unserer wesentlichen Anliegen.
Europa- anstatt Konzernpolitik
Sachorientierte, parteiübergreifende Zusammenarbeit ist im Europaparlament der Regelfall. Argumente zählen mehr als Direktiven von oben. Und es ist auch gut so, wenn nicht immer alle der gleichen Meinung sind. Mit manchen meiner Kolleginnen und Kollegen aus der Intergroup habe ich zum Beispiel, was TTIP betrifft große Meinungsverschiedenheiten.
Für mich bedeutet der Versuch der Europäischen Kommission TTIP, CETA & Co. durchzuboxen, den lange vorbereiteten Versuch die Politik zu entmachten. Eine Entmachtung der Politik – für die diese leider häufig selbst die Begründung liefert – hinterlässt keineswegs ein Vakuum. Vielmehr schafft sie Raum für demokratisch nicht legitimierte Interessendurchsetzung. Wenn es keine Politik gibt, dann schaffen die Konzerne an.
Das müsste eigentlich leicht zu durchschauen sein. Ist es aber offensichtlich nicht.
Deshalb bin ich gegen die sogenannten Investorschutzklauseln (ISDS) und auch gegen eine automatische (außerparlamentarische) regulatorische Kompetenz, wie sie durch derartige Handelsabkommen geschaffen wird.
Hier gilt es den Anfängen zu wehren. Ich bin absolut kein Fan von zu viel Regulierung, aber mitunter gleichen manche gut gemeinte Versuche der Deregulierung dem Versuch das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Mit großer Vorsicht sind daher die Versuche der Kommission unter dem Titel „Bessere Regulierung“ oder REFIT (Regulatory Fitness and Performance) zu beurteilen. Wie sagte doch unlängst der Präsident des DGB, Reiner Hoffmann dazu.
„Hinter dem biedermännisch daherkommenden Programm zum Abbau von Bürokratie verbirgt sich ein groß angelegtes Deregulierungs-Programm zum Abbau von Mindeststandards im Arbeitsrecht, in der Sozial- und Umweltpolitik sowie im Verbraucherschutz.“
Die nächsten Jahre werden diesbezüglich entscheidend. Wenn wir nicht aufpassen, dann wird hier das größte Entpolitisierungsprogramm der Geschichte abgezogen. Dann entscheiden am Ende nicht gewählte, „unabhängige“ „Experten“ darüber, worüber Parlamente überhaupt noch zu entscheiden haben. Wie im gegenwärtigen Vorschlag der Kommission zur Etablierung eines Kontrollrates (Scrutiny Board).
Sozialdemokratie muss sich beweisen
Ich werde auf jeden Fall genau darauf achten, dass bei dem durchaus richtigen Versuch des Bürokratieabbaus nicht übers Ziel hinaus geschossen wird. Ich möchte nicht, dass wir genau dort landen, wo uns der Urvater des Neoliberalismus Friedrich Hayek haben wollte, in einer Welt in der nur mehr Wirtschaftsinteressen dominieren.
Ich kann mir nicht helfen dieser geplante Kontrollrat erinnert mich fatal an Hayeks Weisenrat, der sein ganzes antidemokratisches Sentiment zum Ausdruck bringt.
Und ich werde auch das Gefühl nicht los, dass Europa sich gegenwärtig anschickt, sich vollends dem Neoliberalismus zu verschreiben.
Jetzt, wo es eigentlich jedem schimmern müsste, dass die neoliberale Wende gescheitert ist, weil sie Europa in große wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht und bislang nicht gekannte soziale Verwerfungen hervorgerufen hat. Diese verfehlte Politik ist für den steigenden Bedeutungsverlust Europas und vor allem für den immer bedrohlicher anwachsenden politischen Extremismus verantwortlich.
Das alles ist absurd. Und eigentlich wäre jetzt die Zeit der Sozialdemokratie gekommen. Doch davon sind wir meilenweit entfernt. Überall verliert sie an Bedeutung, nicht nur wie jüngst in Großbritannien. In Polen etwa erreichte die sozialdemokratische Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl nicht einmal 5% usw. usf.
In den nächsten vier Jahren – so viel Zeit steht uns noch zur Verfügung – geht es vor allem darum, sich aktiv an der Rekonstruktion der europäischen Linken zu beteiligen. Nur wenn dies gelingt, hat auch Europa eine Zukunft. Das Europäische Parlament ist genau der richtige Ort solches zu versuchen. Deshalb haben mich auch die Menschen in meinem Wahlkreis nach Brüssel geschickt.