Wird es auch in Zukunft ein wertneutrales Internet geben, das die diskriminierungsfreie Übertragung von Inhalten garantiert oder droht uns ein Zwei-Klassen Internet, bei dem die Bestbietenden auf der Überholspur fahren dürfen? Ein Schicksalstag für das Internet und die Demokratie.
Und das 25 Jahre nach der Einführung des WWW. Erstmals stellt ein Parlament die Grundsätze des offenen und freien Internets in Frage. Auch wenn der Begriff leider noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen ist, sollte allen klar sein, dass das Prinzip der Netzneutralität das Fundamentalprinzip des Internets ist. Im Kern geht es bei der Netzneutralität darum, dass Telekommunikationsunternehmen, wie die Telekom Austria, Vodafone oder die Deutsche Telekom nicht darüber entscheiden sollten, welche Daten bei ihren Kunden ankommen und welche nicht. Das gilt sowohl für die herkömmliche Festnetz-Internetverbindung wie auch für den immer wichtiger werdenden Mobilfunkmarkt. Denn wenn den Telekommunikationsunternehmen die Möglichkeit eingeräumt wird, nach eigenem Ermessen bestimmte Dienste zu priorisieren und andere zu verlangsamen oder sogar zu blocken, dann ist vorprogrammiert, dass sich große Unternehmen die Durchleitung erkaufen und kleinere Unternehmen, aber auch und gerade Bürgerjournalisten, offene Kanäle oder Nichtregierungsorganisationen mit ihren Informationsangeboten auf der Strecke bleiben. Die Gründe, warum Internet-Anbieter das Prinzip verletzen wollen liegen auf der Hand: Wenn der Netzanbieter, der Provider die Daten nach eigenem Gusto behandeln darf, dann kann er zum einen von den Erzeugern der Inhalte Geld dafür verlangen, dass diese nicht diskriminiert werden. Zum anderen kann er aber auch Geld vom Endkunden verlangen, wenn dieser einzelne Dienste höher priorisiert haben will. Eine dritte Möglichkeit: Der Internet-Provider wird einfach selbst zum Inhalte-Anbieter und behindert die eigenen Konkurrenten.
Das bisher gültige Prinzip der Netzneutralität ermöglicht ein diskriminierungsfreies Surfen durch die gewaltige Informationswelt, die uns via Internet offen steht. Sie lässt unsere Kinder via Skype ruckelfrei in Blickweite und erlaubt uns, internationale Nachrichten in Echtzeit zu konsumieren. Bildlich gesprochen: wegen der Netzneutralität kann auf der Datenautobahn ein Trabi mit einem Ferrari mithalten; ohne Netzneutralität hingegen darf nur mehr der Ferrari auf der Überholspur fahren und nur mehr der Mehrzahler Skype ruckelfrei nutzen. Doch nicht nur die allen in gleicher Qualität zur Verfügung stehende Nutzbarkeit des Internets wird durch die Netzneutralität gesichert, wegen der freien und offenen Natur des Internets ist sie auch Garantin von Meinungsfreiheit und Demokratie.
In der digitalen Welt muss jeder Informationen und Inhalte seiner Wahl bereitstellen und abrufen können. Ein offenes und freies Internet bietet enorme Potenziale für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und ist konstitutiv für eine lebendige Demokratie. Es sollte den Bürgerinnen und Bürgern selbst überlassen sein, wo sie sich informieren und welche Unterhaltungs-Angebote sie annehmen. Ein vorgegebenes Medien-Menü passt nicht in das 21. Jahrhundert. Es ist die große Stärke des Internets und der digitalen Welt, den Menschen in zuvor nicht gekanntem Ausmaß freien Zugang zu Informationen aus aller Welt zu liefern. Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass auch in Zukunft dieser freie Zugang garantiert werden kann. Gerade der NSA-Überwachungsskandal sollte uns gezeigt haben, dass eine Zentralisierung der Macht des Internets zum Missbrauch einlädt und aufgrund der internationalen Natur des Netzes zu einem globalen Problem heranwächst. Schon Tim Berners-Lee, Erfinder des WWW, findet klare Worte: „Ein einzelnes Unternehmen oder Land darf das Internet nicht kontrollieren. Ich glaube, dass das Kommunikationsmedium so wichtig ist, dass wir es besonders schützen sollten. Ein Internet, das allen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung steht, ist sehr, sehr wichtig für eine Web-basierte Gesellschaft.“ Dieser Schutz kann nur erreicht werden, wenn wir Netzneutralität gesetzlich verankern. Die Abstimmung am Donnerstag im Plenum des Europäischen Parlaments bietet die Möglichkeit, das Prinzip der Netzneutralität über den Weg der Verordnung zum Digitalen Binnenmarkt entweder festzuschreiben oder abzuschaffen. Wie die Abstimmung ausgehen wird, ist noch weitgehend offen. Setzen sich die Konservativen mit ihrem Vorschlag durch, so wird das Internet als von vom Prinzip her nicht-hierarchisch organisiertes Medium abgeschafft und die Bürgerinnen und Bürger verlieren die Fähigkeit, selbst zu bestimmen, was mit welcher Priorität behandelt werden soll. Wird die Netzneutralität hingegen gesetzlich verankert, so ändert sich im Grunde genommen nicht viel. Etwas, das wir alle kennen und als selbstverständlich erachten bleibt einfach wie es ist und sein soll: Das Internet.