Eigentlich mag ich Sonntage. Auch solche, an denen nicht die Sonne scheint. Da ist der Grad der Fremdbestimmung um einiges geringer und mit etwas Glück komme ich dazu, jene Dinge zu tun, die mir Spaß machen. Interessantes lesen, Freunde treffen oder Pläne schmieden.
Der heutige Sonntag ist anders. Eine unangenehme Grundstimmung hält mich seit dem frühen Morgen gefangen.
Eigentlich sollte ich gut gelaunt sein. Gerade ist der Momentum-Kongress im oberösterreichischen Hallstatt zu Ende gegangen. Mehr als 250 großteils junge Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich gut vorbereitet, auf hohem Niveau, streitlustig aber dennoch respektvoll zueinander, Gedanken über die Zukunft der Demokratie gemacht. Über Eliten und Parteienherrschaft, Partizipation, „liquid democracy“ oder direkte Demokratie. Seit fünf Jahren findet Momentum statt und stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass es in Österreich nicht an zur Politik bereiten und fähigen jungen Menschen mangelt.
Trotz dieser Erkenntnis will meine depressive Stimmung nicht weichen. Ist mir doch gerade letzte Woche, als ich von Brüssel ins kleinformatige Österreich heim kam, eine Meinungsfrage ins Auge gefallen, wonach Frank Stronach auf einen zweistelligen Prozentanteil käme. SPÖ und ÖVP würden weiter verlieren, glücklicherweise auch die FPÖ, die Grünen würden nur minimal zulegen.
Ich frage mich und ich grüble darüber, wieso soviele Menschen zu Stronach flüchten. Eine wirkliche Alternative stellt er ja nicht dar. Seine Ansichten sind bizarr und seine Lösungsvorschläge gefährlich. Man braucht viel Geduld und Wohlwollen, um ihm überhaupt folgen zu können.
In den vergangenen zwanzig Jahren ist er nun der dritte Politiker, der sich mit Erfolg in Fundamentalopposition zum etablierten Politikbetrieb versucht: Haider, Strache, Stronach.
Die beiden einstmaligen Großparteien schaffen mittlerweile nicht einmal mehr zusammen eine einfache Mandatsmehrheit. Noch immer begreifen sie nicht, dass dies weniger mit der politischen Verführungskunst der populistischen Opposition, als vielmehr mit den eigenen Fehlern zu tun hat. Noch immer tun sie so, als ob sie der Nabel der politischen Geschehnisse in diesem Land wären und begreifen nicht, dass ihre koalitionsinternen Hahnenkämpfe niemanden außerhalb ihres Wahrnehmungshorizonts interessieren. Viele Menschen in Österreich sind deswegen angewidert. Die Geschehnisse rund um den U-Ausschuss haben diese Stimmung gewaltig beflügelt.
Haider, Strache, Stronach haben Erfolg, weil SPÖ und ÖVP immer mehr zu autistischen Organisationen verkommen. Obwohl sich die Erfolge (Beschäftigungsentwicklung, Wirtschaftswachstum etc.) im europäischen Vergleich durchaus sehen lassen können, schaffen sie es, dass die Mehrheit der Bevölkerung zunehmend systemkritisch wird.
Das ist eigentlich eine Meisterleistung. Bei der ÖVP kann man das ja noch nachvollziehen. Die Selbstanmaßung von Schwarz-Blau hat tiefe Spuren hinterlassen.
Aber die SPÖ? Selten hat sich eine Partei so sehr selbst demontiert, wie dies der SPÖ in den letzten Monaten gelungen ist. Trotz guter Regierungspolitik und trotz einer weitgehend „sauberen Weste“.
Ich bin ein in der Wolle gefärbter Roter. Aber die gegenwärtige Situation überfordert auch mich. Wohin ich komme, herrscht Unverständnis. Ich habe viel mit jenen, von einem früheren Parteivorsitzenden zynisch als „Basiswappler“ bezeichneten Mitgliedern zu tun. Überall greift Resignation um sich. Mich erschreckt diese um sich greifende Passivität. Der Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, ist allgegenwärtig. Lieber die Situation bejammern und nichts dagegen unternehmen, weil man ja nicht permanent enttäuscht werden möchte.
Barbara Blaha, die Präsidentin des Momentum-Kongresses, hat in ihrem Einleitungsstatement etwas sehr treffendes gesagt:
„Viel ist dieser Tage von der Alternativlosigkeit die Rede. Dass dem nicht widersprochen wird, ist die denkbar höchstentwickelte Form von Herrschaft. Die wahre Dominanz besteht nicht darin, dass sich niemand wehrt. Sondern darin, dass sich die Menschen für so machtlos halten, dass ihnen schon der Gedanke sich aufzulehnen, an den Verhältnissen auch nur zu rütteln, absurd erscheint.“
Dem ist wenig hinzuzufügen – außer die Frage vielleicht, wieso es sich eine politische Bewegung wie die österreichische Sozialdemokratie leisten kann, auf Frauen wie Barbara Blaha zu verzichten.
Wieso ist die SPÖ eigentlich nicht in der Lage, mit der kritischen, primär an Inhalten interessierten Jugend (zu der auch viele unverbrauchte Alte gehören), in einen Diskurs zu treten. Wieso ist man nicht bereit, sich einer grundsätzlichen Diskussion über die demokratischen Strukturen, über Pluralität in den Medien, über die Reform des Bankensektors oder über die Beseitigung der Korruption zu stellen. Wieso nicht willens, eigene Fehler einzugestehen und an deren Überwindung zu arbeiten.
Die österreichische Sozialdemokratie könnte jene Kraft sein, die Alternativen formuliert, zum Wirtschaftssystem und zu den korrupten Strukturen, die das Land zersetzen. Sie könnte der grassierenden Dummheit, die durch die Boulevardmedien täglich vergrößert wird, etwas entgegensetzen.
Es gibt genug Menschen, die genau solches erwarten. Würde die Sozialdemokratie diese Rolle einnehmen, dann würde unser Land nicht wie in einer Geiselhaft den Populisten ausgeliefert sein. Wer selbst keine Alternativen formuliert, der riskiert, dass es andere tun.