Ambivalenzen

Eine Episode aus dem EU-Wahlkampf beschäftigt mich unentwegt. Vielleicht, weil da auch ein Schlüssel zur politischen Lösung der “Ausländer-Problematik” liegt.
Ich hatte, so wie wir es immer hielten, wenn es die Zeit erlaubte, meinen Infotisch vor dem Sitz der SP Oberösterreich in der Landstrasse 36 aufgestellt. Und – as usual – gab es rege Diskussionen mit PassantInnen. Ein älterer Herr aus dem Linzer Franckviertel verwickelte mich in eine intensive und emotional geführte Diskussion über den Fall Arigona. Er äußerte sich ziemlich ausfällig über die Familie Zogaj, die den Rechtsstaat erpressen würde, und auch über die seiner Meinung nach “unverständliche” Haltung der Volkshilfe, die Familie zu unterstützen.
Unser Diskurs zog sich eine Weile dahin und wurde auch von den Umstehenden mitverfolgt. Eine Frau machte mich leicht ungeduldig darauf aufmerksam, dass da noch jemand mit mir reden möchte. Ich ersuchte meinen Gesprächspartner, das Gespräch unterbrechen zu dürfen. Er stellte sich zur Seite. Ein etwa vierzigjähriger Mann bosnischer Herkunft erklärte in einwandfreiem Deutsch und emotional sehr erregt, dass er demnächst abgeschoben würde, obwohl er schon viele Jahre in Österreich lebt und arbeitet. Händeringend bat er mich: “Bitte, bitte helfen Sie mir!”
Mein Publikum war betroffen. In die Stille hinein meldete sich jener Herr, der mir gerade vorhin erklärt hatte, wie sehr in Österreich “die Ausländer” bevorzugt würden und meinte ganz vehement: “Diesem Mann muss geholfen werden, macht’s doch was!”
So knapp liegen die Dinge oft beinander. Was ist dieser Mann nun? Ein Ausländerfeind, ein Opportunist oder gar ein verkappter “Gutmensch”? Mit Sicherheit ist er ein potentieller Wähler der Rechtsparteien. Ist er aber auch ein unverbesserlicher Rechter?
Ein Zerissener ist er auf jeden Fall und auch ein Unzufriedener, der vielfach enttäuscht wurde und der nicht weiß, was die Zukunft bringen wird. Er ist einem Trommelfeuer von Vereinfachungen und Schuldzuweisungen ausgesetzt. Er lebt in einer von den Rechten konstruierten Stimmungswolke einer imaginären Volksgemeinschaft, die konsequent und systematisch Realitäten ignoriert.
Die Realität öffnet die Augen, so lehrt unser Beispiel. Warum sprechen wir die Realitäten nicht an, warum schwindeln wir uns an den klaren Antworten vorbei?

Der rote (braune) Faden

Ich konnte im Laufe meiner Wahlkampagne mit unendlich vielen Menschen reden. Viele interessante Gespräche werden mir in Erinnerung bleiben.
Es gehört aber auch zu den bleibenden Eindrücken mit welcher Vehemenz und Eindringlichkeit ausländerfeindliche Auffassungen vertreten wurden. Das waren keine Einzelmeinungen, vielmehr zog sich dieses Thema wie ein roter (brauner) Faden durch die meisten Diskussionen. Es waren auch nicht die typischen Krakeeler, sondern „biedere“, auf den ersten Eindruck liebenswerte Zeitgenossen. Die Geschlechterverteilung spielte dabei überhaupt keine Rolle.
Solche Gespräche folgten zumeist einem bestimmten Ablauf. Nach einer Einleitung à la „Ich bin wirklich nicht ausländerfeindlich, aber…..“ oder „Bei mir im Haus wohnt auch eine Ausländerfamilie (oft mit dem Zusatz aus Kroatien oder Ex-Jugoslawien), das sind wirklich anständige Menschen…“ folgte zumeist die lapidare Feststellung, dass das nicht mehr auszuhalten wäre mit den Ausländern: zu viele, zu laut, zu aggressiv, einseitig bevorzugt durch den Sozialstaat.
Manche ließen sich auf inhaltliche Diskussionen ein und oft konnten Missverständnisse ausgeräumt werden. Viele aber blieben hartnäckig bei ihren vorgefassten Meinungen. Auf die Frage, was sie denn von „der Politik“ erwarten würden, zumeist ein lapidares „Ihr müsst was dagegen tun!“ oder ein „Lasst uns nicht allein!“. Oft und oft habe ich dann versucht, meine GesprächspartnerInnen zu ersuchen, diese Forderung zu konkretisieren. Zumeist war dies nicht möglich: außer „Weniger Zuzug“, „Grenzen dichtmachen“ „Weg damit, wenn einer straffällig wird“ oder die Forderung nach eigenen Ausländerklassen.
Einige ließen sich darauf ein, durchzuspielen, was dies alles – abgesehen vom menschlichen Leid – bedeuten würde: Wie unsere Wirtschaft dastehen würde, wer unseren Sozialstaat finanzieren sollte etc.
Ein Passant mittleren Alters, mit dem ich eine halbe Stunde diskutiert hatte, meinte am Ende des Gesprächs lapidar: „Sie haben ja Recht, aber ich bleibe trotzdem bei meiner Meinung.“

Fighting for a cause

Inmitten des ganzen Trubels, ob die Sozialdemokratie nun das fünfte Mandat schafft oder nicht und ich in das Europäische Parlament einziehen kann, hatte ich endlich Gelegenheit, meinen Freund Anand, Professor am Institute for Global Studies an der Jawa Nehru Universität (New Dehli) zu treffen.
Er hielt sich gemeinsam mit seiner Frau Manju zu einer Gastvorlesung an meinem Institut an der JKU auf und war schon am Wochenende angereist. Entgegen der üblichen Gewohnheit fand ich keine Zeit die beiden zu treffen, da mich die Wahlkampfhektik und der Wahltag vollständig in Beschlag genommen hatten.
Anand und Manju verbrachten das Wochenende auf sich alleine gestellt, unterstützt von einer hilfsbereiten jungen Kollegin und es war nicht schwer für die beiden, etwas von meinem Wahlkampf mitzubekommen.
Als ich Anand am Dienstag endlich traf, da zeigte er sich sehr beeindruckt und meinte, als Soziologe könne man sich nur wünschen, so breite Aufmerksamkeit zu bekommen, um seine Ideen präsentieren zu können: “Du hast jetzt zu sehr viel mehr Menschen Zugang als bisher. Das ist ein wichtiges Ergebnis deiner Kampagne, nutze diese Chance.”
Als dann am Dienstagabend das von mir schon erwartete Ergebnis klar wurde und das Mandat endgültig an die Grünen ging (Gratulation an Eva Lichtenberger, der ich den Einzug ins EP von Herzen gönne), da konnte ich meine momentane Enttäuschung nicht wirklich verbergen. Anand merkte das natürlich und meinte sehr nachdrücklich: “You are fighting for a cause, not for a job”.
Danke Anand! So will ich es halten. Ich werde mich künftig in regelmäßigen Abständen, zunächst ausgehend von den vielen beeindruckenden Begegnungen während des Wahlkampfes, zu meinem Leibthema “Soziales Europa” zu Wort melden.
Mehr denn je bin ich überzeugt, dass wir Europa brauchen. Die großen Fragen der globalisierten Ökonomie lassen sich nur lösen, wenn Europa gemeinsam auftritt und mit einer Stimme spricht. Zu behaupten, kleine Nationen wie Österreich könnten die Lebensbedingungen ihrer BewohnerInnen befriedigend gestalten, wären sie nur auf sich allein gestellt, ist purer Unfug und dient lediglich der Rechtfertigung von kurzfristigen Machtgelüsten populistischer Volksverhetzer.
Wir brauchen keine neue Grenzen in unseren Köpfen, wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Europa. Allerdings brauchen wir ein anderes Europa. Ein Europa, das mehr ist als die Vollendung des Binnenmarktes. Ein Europa der sozialen Verantwortung, das seinen BürgerInnen Rechte eingesteht und Bedingungen schafft, diese auch in Anspruch nehmen zu können.