Die Wahlen zum Nationalrat stehen unmittelbar bevor. Im historischen Rückblick wird man sie einmal als Schicksalswahlen bezeichnen.
Unsere Demokratie steht auf dem Spiel. Eine eigenartige Stimmung liegt über dem Land. Frustration, Ratlosigkeit, ja Verzweiflung haben sich breitgemacht und lassen kaum noch Optimismus aufkommen. Politischer Gestaltungswille findet nur mehr selten die erforderliche Aufmerksamkeit. Verantwortungsvolles Handeln ist nicht mehr en vogue. Inszenierung über alles, persönliche Profilierung statt Expertise und Krawall statt Austausch von Argumenten. Das politische Leben ist verroht wie seit den 30-er Jahren nicht mehr. Bislang Unvorstellbares wird von Tag zu Tag vorstellbarer. Die in den Umfragen vorne liegende Partei liebäugelt mit einem „Volkskanzler“, der endlich aufräumen wird und greift blasphemisch zu religiös aufgeladenen Parolen, wie: „Euer Wille geschehe!“ Nichts soll so bleiben wie es ist, es soll so werden wie es angeblich einmal war.
Selbstkritik zählt nicht mehr
Die Emotion verdrängt die Wissenschaft und die Vernunft wird durch den „Hausverstand“ ersetzt. Schuld sind immer die anderen. Das Recht des Stärkeren gilt als die neue Maxime. Die Ellbogen werden wieder ausgefahren, nur die Harten schaffen es, Darwin lässt grüssen. Die Zweite Republik, die durch eine gelebte Sozialpartnerschaft für sozialen Ausgleich und vernünftigen Umgang miteinander gesorgt hatte gibt es eigentlich nicht mehr. Sie ist an der Reformunwilligkeit ihrer Protagonisten gescheitert. Schwarz und Rot haben sich auseinander geschimpft. Seit beinahe 40 Jahren, als Jörg Haider sich an die Spitze der FPÖ geputscht hatte, steht Österreich im Sog dieses rechtsrechten Fundamentalismus. Abgrenzungsstrategien (Vranitzky-Doktrin) scheiterten, weil aus taktischem Kalkül immer wieder Möglichkeiten der Zusammenarbeit gesucht wurden. In der Erwartung den Populisten den Wind aus den Segeln nehmen zu können machten manche der Verantwortungsträger sogar den fatalen Fehler, deren Themen zu übernehmen. Ganz vorne dabei: „die“ Ausländer oder „die EU“. Es fielen die Hemmschwellen, autoritäre, illiberale und nationalistische Positionen höhlten die politische Mitte aus. Die Saat ist aufgegangen. Jörg Haider ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Noch hat sich das alles nicht zu einem politischen Regime verfestigt. Immer wieder gab es Versuche in diese Richtung: Wolfgang Schüssels „Schwarz-Blau“ Flop, Norbert Hofers „Ihr werdet Euch noch wundern, was alles geht“ oder Sebastian Kurzs türkiser Luftballon. Bislang hat es glücklicherweise nicht funktioniert. Noch haben wir Glück gehabt.
Der ungarische Weg führt zurück in eine nationalistisch-verklärte Vergangenheit
Die gegenwärtige politische Großwetterlage läßt Schlimmes befürchten. Nicht nur, dass Putins Russland alles daran setzt, die liberalen Demokratien Europas zu schwächen. Dies geschieht im Einklang mit rechtsextremen Strömungen im US-republikanischem Umfeld (CPAC). Victor Orbán ist die Drehscheibe dieser disruptiven Destabilisierung. Herbert Kickl hat wiederholt erklärt, dass der ungarische Langzeitzeit-Premier sein Vorbild ist. Sie sind Brüder im Geiste. Beide dulden sie keine Widerrede, verachten die liberale Demokratie, Pressefreiheit und Gewaltenteilung. Orbán mag für autoritäre Politiker diesseits und jenseits des Atlantik ein bewundernswerter Säulenheiliger sein. Zum Vorbild taugt er nicht, er hat sein Land heruntergewirtschaftet, mafiose Strukturen geschaffen, die Unabhängigkeit der Justiz beseitigt und dem Land alle positiven Zukunftsperspektiven geraubt. Der ungarische Weg, wie er von der FPÖ offen propagiert und mit dem maßgebliche Teile der ÖVP kokettieren ist nicht zukunftstauglich. Er führt zurück in eine nationalistisch verklärte Vergangenheit und schafft jene Instabilität, die die Zerstörer der Demokratie herbeisehnen. Am 29.September geht es darum, dass diese Kräfte keine Mehrheit bekommen.
Wir brauchen einen Neustart
Auch wenn es in dieser Situation utopisch klingen mag: Wir müssen die Fenster öffnen und vor allem jene miteinbeziehen, die bislang nicht politisch aktiv waren. Vor allem aber muß sein Schluss mit der toxischen Inszenierung der Politik, wo Probleme systematisch herbeigeredet werden. Wir brauchen Mut zur Sachlichkeit und ein klares Bekenntnis zum Gemeinwohl. Ein funktionierender Sozialstaat ist die beste Absicherung gegen die drohende Destabilisierung. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass sich die vernünftigen und am Gemeinwohl orientierten Kräfte, die es in den etablierten Parteien noch immer gibt, endlich aus der Deckung wagen. Der Sozialdemokratie kommt dabei eine wichtige Rolle zu, auch wenn ihre erstarrten Strukturen dies nicht einfach machen. In ganz Europa gibt es aber auch Initiativen der Parteibasis diesen Prozess der notwendigen Erneuerung selbst in die Hand zu nehmen, wie zuletzt in Italien und Österreich. Innerhalb weniger Tage traten im Vorjahr tausende Menschen der SPÖ bei, um mit der Wahl von Andi Babler einen Neubeginn zu setzen. Die Überraschung gelang. Mit ihm hat die Partei einen Vorsitzenden, der Problemen nicht aus dem Weg geht und sich den Herausforderungen stellt. Er ist ein Pragmatiker, der die Menschen begeistern kann. Er ist prinzipienfest, aber politisch Andersdenkende sind keine Feinde für ihn. Von Spin-Doktoren und Meistern der Inszenierung haben wir längst genug. Wir brauchen einen Neustart, Andi Babler kann das gelingen.