Letzte Woche vollendete Gerhard Botz, emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien seinen 70.Geburtstag. Er gilt als Begründer der Historischen Sozialwissenschaft in Österreich und international als der bedeutenste österreichische Faschismusforscher. Die beigefügte Rede habe ich am Freitag, den 18.3.2011 als laudatio anläßlich einer Feier in den Räumlichkeiten des Ludwig Boltzmann Geschichte Clusters in Wien gehalten.
„Querdenken als forschungsleitendes Prinzip – Gerhard Botz und der Versuch der sozialwissenschaflichen Wendung der Geschichtswissenschaft“ – Rede von Josef Weidenholzer
Diesen Vortrag zu halten ist für mich eine große Ehre und eine große Herausforderung. Eine Ehre, weil er über Gerhard Botz, einen Historiker von europäischem Rang han-deln soll, mit dem mich zudem eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet. Eine Herausforderung, weil ich kein Historiker bin und daher nicht über die inter-nen Befindlichkeiten der Disziplin Bescheid weiß und wohl auch nicht befugt bin, den Entwicklungsstand des Faches zu qualifizieren.
Mein Fach ist die Sozialpolitik. Meine Disziplin ist damit beschäftigt, das zu reparie-ren, was andere Disziplinen – insofern deren Prinzipien verabsolutiert und dogmatisch verengt zur Anwendung kommen – kaputt machen. Die Sozialpolitik wurde so in den letzten beiden Jahrzehnten zum Reparaturbetrieb der gesellschaftlichen Folgen der in ihrer Methodik neoklassisch und ihrer ideologischen Ausrichtung neo-liberal gewendeten Nationalökonomie.
Mein Interesse an der Geschichte ist nicht zuletzt aus diesen Gründen wieder er-wacht, insofern bin ich ein äußerst Interessierter. Vor allem aber auch als Politiker bin ich besorgt darüber, ob sich nicht manches zu wiederholen beginnt. Dieses durchaus praktische Interesse an Geschichte war es auch damals, das mich Anfang der 1970-er Jahre an das Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte und das mit ihm eng verzahnte Boltzmann Institut für die Geschichte der Arbeiter-bewegung an der damaligen Hochschule für Sozial -und Wirtschaftswissenschaften, der heutigen Johannes Kepler Universität in Linz brachte.
Seit dieser Zeit war ich in engem Kontakt mit Gerhard Botz, zunächst als Student, später dann als Kollege und Zimmergenosse am Institut. Die 1970-er Jahre waren Jahre der Veränderung und des Wandels. Hätte sich eine neugegründete Hochschule wohl bessere Startbedingungen wünschen können?
Bevor ich zum eigentlichen Kern meines Vortrages, der Frage, wie es zur sozialwissenschaftlichen Wendung der österreichischen Geschichtsforschung, insbesondere der Zeitgeschichte kam und welchen Anteil Gerhard Botz daran hatte, darf ich es nicht verabsäumen, die damalige Situation kurz zu skizzieren.
Österreich befand sich dank des neuen Schwungs, der mit Kreisky in die gemächlich vor sich hin treibende Politik Einzug gehalten hatte in einer Aufbruchsstimmung. Das Neue setzte sich gegen das Alte und das Originelle gegen das Einfallslose durch…