Rede am Marienthal Symposium 2013: Ich freue mich sehr über diese Gelegenheit, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich bin zum ersten Mal hier. Schon lange wollte ich das. Seit den Tagen meines Soziologiestudiums sind mir die Arbeitslosen von Marienthal ein Begriff. Schon damals galt die Studie als Klassiker der Sozialforschung.
Obwohl jedem Studierenden geläufig, war sie trotzdem ein Fremdkörper in den damals von kühnen Theoretisierungs- und Politisierungssehnsüchten beherrschten Sozialwissenschaften. Irgendwie war der Gegenstand dieser Forschung auf eigentümliche Weise entrückt, historisch und in der Realität der damaligen Gegenwart. Arbeitslosigkeit, das war ein Phänomen, das man nur mehr von den Schilderungen der Elterngeneration kannte. Die Studie zu lesen bedeutete, sich in eine verschwundene Welt zu versetzen. Es schien nichts anders zu geben als Vollbeschäftigung.
Ich erinnere mich noch sehr gut an unsere heftige Reaktion im VSStÖ, als zu Beginn der 70-er Jahre ein Wirtschaftspublizist in der Zukunft – im Einklang mit Keynes übrigens- feststellte, von echter Arbeitslosigkeit könne man erst ab einem Niveau von 3% reden. Heute würden wir alle davon träumen. Die 70-er Jahre schienen all das zu widerlegen – was eine Generation zuvor – Europa an den Abgrund geführt hatte Einsicht und Rücksicht hatten sich offensichtlich über Verbohrtheit und Rücksichtslosigkeit hinweggesetzt, der Wohlfahrtstaat offerierte Sicherheit, indem er Fleiß und Tüchtigkeit honorierte. Und die auf sich selbst zentrierten Nationalstaaten begannen sich plötzlich für die eigenen Fehler zu interessieren, Gräben zuzuschütten und Grenzen zu überwinden. Dem Fortschritt schienen keine Grenzen gesetzt zu sein. Optimismus wohin man blickte.
Sich damals mit den Arbeitslosen von Marienthal zu beschäftigen hieß, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Wenn man sich heute – fast ein halbes Jahrhundert später damit auseinandersetzt, dann landet man plötzlich in der Gegenwart. Über Arbeitslosenraten von 3% wären wir heute froh. Sogar in Österreich, dem Mitgliedsstaat der Europäischen Union mit der niedrigsten Arbeitslosenrate liegen wir mit 4,3% über dieser Marke – nach der vor dem Beitritt üblichen Methode mit 9,1% sogar deutlich höher. In der Eurozone sind zur Zeit 20 Millionen Menschen ohne Beschäftigung. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Österreichs, Ungarns und Sloweniens zusammen. Im Durchschnitt sind 12% der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Beschäftigung, also jede/jeder Achte. Das ist nicht mehr wenig. In den Krisenstaaten Griechenland und Spanien ist gar jeder Fünfte betroffen. Bei den Jugendlichen beträgt die Arbeitslosenquote skandalöse 50 Prozent.
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„Arbeitslosigkeit – Die Europäische Krankheit“ – Referat von Josef Weidenholzer, gehalten am Marienthal Symposium 2013 am 16. Februar 2013 in Gramatneusiedl, NÖ.