Donnerstagnachmittag am Frankfurter Flughafen.
Um die TV-Bildschirme, die normalerweise niemand beachtet, stehen Menschen herum und verfolgen eine Pressekonferenz des Lufthansa CEO Carsten Spohr. Sie vergewissern sich bei den Umstehenden, ob es wirklich stimmt, was sie soeben gehört haben. Der Copilot hätte die Maschine vorsätzlich zum Absturz gebracht – in Selbstmordabsicht.
Seit diesem Zeitpunkt kann ich mich diesem Thema nicht mehr entziehen. Auch wenn ich es gerne täte, weil mich interessiert, wie es in Lausanne weitergeht und ob es wirklich zu einem Deal mit dem Iran kommt. Wie das alles mit dem Jemen zusammenhängt, oder ob Griechenland und die EU die verbleibende Zeit nutzen können.
Viele wichtige Dinge passierten an diesem Wochenende.
Es war freilich schwer, sich den „Breaking News“ in der Causa 4U2595 zu entziehen. Sogar auf den Online-Portalen der deutschen Qualitätsmedien. Die Schuldfrage scheint schon längst geklärt und Sensationsgier ist offensichtlich nicht nur eine Eigenschaft der Boulevardpresse.
Und natürlich die sozialen Medien. Selten so einen Hype erlebt. Alles was man sich an Verschwörungstheorien vorstellen kann: Chemtrail-Spezialisten, Putin-Trolle, selbst ernannte Luftfahrtspezialisten und Retter des Abendlandes, und das innerhalb kurzmöglichster Reaktionszeit.
Wie man sich nur so schnell etwas zusammendenken kann und welchen Blödsinn Leute, denen man das nie zugetraut hätte, ernst nehmen.
Ärgerlich, sehr sogar. Da sind jene, die bei Katastrophen dieser Art zunächst immer die Opfer nach Nationalitäten sortieren, geradezu harmlos. So, als ob Trauer und Entsetzen, davon abhängen dürfen, welcher Nationalität man angehört.
Viel schlimmer sind die Überreagierer, also die, kaum zeigt sich ein Problem, auch schon ankündigen, das auf der Stelle zu ändern. Also nur Vieraugenprinzip im Cockpit und das ganze gleich als EU Vorschrift.
Anlassgesetzgebung, wie so oft. Eine törichte Reaktion, die allerorten und regelmäßig wiederkehrend auftritt und die in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein permanentes Selbstentmachtungsritual. Politik, die allzu sehr darauf programmiert ist, reflexartig auf Zuruf zu reagieren, verstärkt den Eindruck, dass sie eigentlich wenig zu sagen hat. Zumindest erweckt sie den Eindruck, dass es ihr an programmatischer Systematik mangelt.
Als Folge von 9/11 gab es eine Menge solcher Reaktionen, wie etwa die Sicherung der Türen zum Cockpit. Das war’s dann auch. Niemand hat sich in der Folge die Mühe gemacht, diese Maßnahmen einer systematischen Revision zu unterziehen.
Sonst hätte man vielleicht diese Lücke schließen können.
Reaktiv–aktionistische Politik löst die Probleme häufig nur vordergründig und vermittelt primär ein Gefühl von Sicherheit, ohne diese auch tatsächlich herstellen zu können.
Ähnlich fatal ist auch das im Zusammenhang mit solchen Katastrophen übliche Trittbrettfahrertum. Noch ist nicht einmal die Schuldfrage geklärt, da wissen manche schon, welche grundsätzlichen Reformen notwendig und unverzichtbar sind. Das sind immer Dinge, die sie schon lange vorher beschäftigt und für die sie (oft zu Recht) keine Mehrheit gefunden haben. Im Zusammenhang mit Charly Hebdo war das die Speicherung der Fluggastdatenabkommen. Jetzt ist es der Datenschutz. Schon hört man von der anderen Seite des Atlantiks schadenfrohe Bemerkungen, der „Täter“ wäre des strengen Datenschutzniveaus wegen unbemerkt geblieben. Und es wird wohl nicht mehr lange dauern, dass wir mit Forderungen konfrontiert werden, der Persönlichkeitsschutz für kranke Menschen müsse im übergeordneten betrieblichen Interesse (in einzelnen Fällen) aufgehoben werden können.
Richtig ekelig wird die Sensationsgier dann, wenn Journalisten zu klinischen Psychologen werden und sich zu diesem Zweck durch das Privatleben des Tatverdächtigen durchschnüffeln. Anzeichen von Depression werden sogleich zu Momenten umgedeutet, wo man seine Selbstmordabsichten klar hätte erkennen können.
Hier wird es dann richtig gefährlich, weil man depressiven Menschen Handlungsabsichten unterstellt, die in keiner Weise dem Krankheitsbild entsprechen. Gegenwärtig passiert eine Dämonisierung depressiv kranker Menschen – allen Aufklärungsbemühungen der letzten Jahre zum Trotz. Das sollten wir nicht hinnehmen.