Diesen Freitag ist für mich eine Ära zu Ende gegangen. Ich habe meine Tätigkeit als Funktionär der Volkshilfe beendet. Es ist das offizielle Ende. Faktisch habe ich mich schon länger zurückgezogen. Sukzessive seit Oktober 2014, als ich meinen Rückzug aus allen Funktionen angekündigt habe. Wir sind damals übereingekommen, diesen Wechsel in der Führung für eine organisatorische und personelle Erneuerung zu nutzen. Ich bin sehr froh, dass mit Michael Schodermayr ein Nachfolger bereitsteht, der der oberösterreichischen Volkshilfe in den schwierigen Zeiten – die auf uns alle zukommen werden – voran stehen wird. Er ist ein uneitler Mensch, einer mit Ausstrahlung und Gemeinsinn. Er kann andere begeistern. In den letzten Monaten hat er bewiesen, dass er in der Lage ist, mit Schwierigkeiten geduldig und zielstrebig umzugehen. Ihm ist gelungen, woran ich notorisch gescheitert bin, die dringend erforderliche Organisationsreform der Oberösterreichischen Volkshilfe umzusetzen. Dafür möchte ich ihm danken.
Einmal Volkshilfe- immer Volkshilfe
Ich werde in Zukunft zwar weiterhin mit jeder Faser hinter der Volkshilfe Oberösterreich stehen, mich künftig aber darauf beschränken, nur über Vergangenes zu reden. Vergangenheit steht ja genug zur Verfügung. 31 Jahre, fast die Hälfte meines Lebens habe ich auf unterschiedlichen Ebenen in der Volkshilfe vorne mitgemischt. Von 1985 bis 1991 als Linzer Vorsitzender, seit 1987 als Vorsitzender in Oberösterreich, von 1991 bis 2015 als Präsident der Österreichischen Volkshilfe und von 2007 bis 2014 als Präsident des europäischen Dachverbandes solidar. Das reicht – zumindest meine Frau Inge wird sich das oft gedacht haben. Und sie hat recht. Ich bin ihr und unserer Familie zu Dank verpflichtet, dass sie meine häufige Abwesenheit akzeptiert haben. Es müssen viele Abende gewesen sein. Als Mathematikerin weiß meine Frau: 31 mal 52 mal x. Da ist man schnell im vierstelligen Bereich. Auf jeden Fall waren es viele, viele Abende. Vielleicht zu viele, im Nachhinein betrachtet. Die Gutmütigkeit und Toleranz meiner Familie habe ich oft überstrapaziert. Aber es ging ja auch um etwas sehr Wichtiges, das noch dazu von Jahr zu Jahr wichtiger zu werden schien. Es sollte nicht nur uns gut gehen, sondern auch den anderen, allen anderen… der Menschheit. 1968 hatte seine Spuren hinterlassen. Das kann mitunter anstrengend sein. Für alle Beteiligten.
Eigentlich war es nicht selbstverständlich, dass ich bei der Volkshilfe landete. Meine Welt war der Hörsaal, das Seminar, die Bibliothek. Ich war sehr jung, als ich Universitätsprofessor wurde und damit über alle Maßen privilegiert. Wer hat schon das Glück, dass die Republik einem als 33-Jährigen eine Lebensstellung garantiert? Damals nahm ich mir vor nicht abzuheben und der Gemeinschaft, die mir dieses Privileg verschaffte, dankbar zu sein. Ich wollte mich engagieren. Und ich wollte mich politisch engagieren. Natürlich war mein akademisches Umfeld politisch gewesen, aber es gehörte auch dazu, sich nicht von der Parteipolitik vereinnahmen zu lassen. Eine Gastprofessur in England ließ mich davon abrücken. Ich konnte persönlich erleben, welche verheerenden Folgen die neoliberale Politik von Margaret Thatcher in einer englischen Industrieregion wie den Midlands angerichtet hatte. Und ich wollte nicht, dass das auch bei uns passiert, und beschloss meine akademische Zurückhaltung aufzugeben. Für einen Professor lag es nahe sich in der Bildungsarbeit der SPÖ zu engagieren. Aber zu meinem Erstaunen wollte das von den Verantwortlichen niemand. Erst viel später erfuhr ich den Grund: Der Bezirksbildungsvorsitzende der SPÖ Linz gehörte dem Parteipräsidium an. In solchen Kategorien dachte ich damals nicht und ich kann es auch heute noch nicht.
Auf jeden Fall bin ich Josef Ackerl dankbar, dass er mir anbot den Vorsitz der Linzer Volkshilfe zu übernehmen, deren Tätigkeitsbereich damals noch überschaubar war. Und ich bin dem Schicksal unendlich dankbar für diesen glücklichen Zufall. In dieser Funktion konnte ich nicht nur anderen helfen. Vielmehr war es auch zu meinem eigenen Vorteil. Im Gegensatz zu vielen meiner Professorenkollegen hatte ich einen Bezug zur Realität. Ich wusste, wovon ich redete, weil ich konkrete Menschen vor Augen hatte. Theorie und Praxis zu verbinden, das war es ja, was wir 68er gefordert hatten. Die Welt zu verändern, ein bisschen zumindest, das war unser Antrieb. Und plötzlich war ich dort, wo ich immer sein wollte, bei Karl Marx und seiner 11. Feuerbachthese: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern!“ Und ich konnte wirklich einiges verändern. Ich habe meinen Beruf als akademischer Lehrer sehr geliebt und glaube, dass es mir auch gelungen ist, viele junge Menschen zu formen. Aber ohne diese Symbiose mit der Arbeit in der Volkshilfe wär so was nie möglich gewesen.
Vor ein paar Wochen bin ich per Zufall über einen Text von Bert Brecht gestolpert. Er lässt mich nicht mehr los, weil er präzise zusammenfasst, was mir bislang in meinem Leben widerfahren ist: „Stark ist, wer Glück hat. Ein guter Kämpfer und ein weiser Lehrer ist einer mit Glück. Glück ist Hilfe.“ Glück ist Hilfe. Hilfe ist Volkshilfe. Ja, es gab viele solcher Glücksmomente in den letzten 31 Jahren. Vor allem wenn unsere Hilfe unvermittelt und unerwartet geschah. Wie oft haben mir Menschen dafür gedankt, dass ihre Angehörigen in der vertrauten Umgebung alt werden konnten und nicht ins Heim mussten, dass sie wieder einen Job fanden und damit ihr Leben einen Sinn oder dass nach Krieg und Vertreibung Oberösterreich für sie zur neuen Heimat wurde.
Stark ist, wer hilft. Schwach ist, wer hetzt.
Ja, die Flüchtlinge, ein Thema, das mich die ganze Zeit begleitete. „Helft doch den unseren“, wie oft habe ich das gehört. Und wie oft musste ich sagen: Ja, das tun wir natürlich – und mit viel mehr Einsatz als ihr Meckerer – aber kapiert doch: Wir Menschen sind alle gleich. Daher muss man zu allen Menschen menschlich sein. Überall. Punkt. Und noch etwas: Helfen ist keine One-Man-Show und kein Selbstzweck. Helfen ist ein Gemeinschaftserlebnis, helfen begründet Gemeinschaft, Solidarität. Nach außen und nach innen. Mir war es immer wichtig, dass unsere Beschäftigten nicht für Gottes Lohn arbeiten sollten. Zu helfen ist nicht nur Berufung, das ist vor allem Beruf. Professionalität ist Ausdruck der Wertschätzung des anderen. Sie muss fair und gerecht entlohnt werden. Viel, sehr viel, manche meinten, zu viel Zeit habe ich als Vorsitzender der BAGS dafür aufgewendet, einen gesamtösterreichischen Kollektivvertrag für den Sozialbereich zustande zu bringen. Viele Konflikte, viel zerschlagenes Porzellan und kein Ruhm, aber die Gewissheit, dass wir die Grundlage für geregelte Arbeitsverhältnisse im Sozialbereich schaffen konnten. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob es nicht mehr hätte sein können. Aber es galt einen Ausgleich zu finden zwischen legitimen Anliegen und dem Machbaren. Ein eigenartiges Gefühl war es schon gewesen, Vorsitzender eines Arbeitgeberverbandes zu sein. Ich habe es gerne gemacht. Im Bewusstsein, dass eine Organisation nur dann bestehen kann, wenn sie ihre Beschäftigten wertschätzt.
Natürlich gibt es auch vieles zu bedauern. Ich will Euch damit verschonen. Nur eines: Es tut mir leid, wenn ich jemanden enttäuscht habe. Jeder Mensch macht Fehler. Eine Entscheidung werde ich allerdings niemals bedauern. Dass ich eines Tages, Mitte der 80er Jahre einen meiner ehemaligen Studenten gefragt habe, ob er nicht mit mir die Volkshilfe entwickeln möchte. Alles, sagen wir fast alles, was in den letzten drei Jahrzehnten in der Volkshilfe Positives geschah, das ist sein Verdienst. Je länger wir miteinander zusammenarbeiteten, umso besser funktionierte es. Ich konnte ihm blind vertrauen: Karl Osterberger ist das Beste, was der Volkshilfe in Oberösterreich passieren konnte. Ich danke ihm für alles: für die Loyalität in kritischen Momenten, für seine Offenheit und Ehrlichkeit, für seine immerwährende Bereitschaft Ideen aufzugreifen und für seine Freundschaft. Zudem hat uns als leidenschaftliche und bekennende Innviertler auch der Genuss des einen oder anderen Biers verbunden. Vielleicht ist das jetzt manchem zu viel Innviertel, zu viel Oberösterreich und zu viel Heimat. Ich habe da ganz klare Prioritäten. Heimat lasse ich mir nicht nehmen schon gar nicht von jenen, die sich provokativ soziale Heimatpartei nennen. Und Oberösterreich ist meine Heimat. Heimat ist in erster Linie Vertrautheit. Niemand hat das Recht, daraus abzuleiten er wäre besser, als die anderen. Wer seine Heimat wirklich liebt, dem kann es nicht egal sein, wenn jemand anderer die Heimat verliert. Brechts Überlegungen weiterführend: Stark ist, wer hilft. Schwach ist, wer hetzt.
Die nächsten Jahre werden schwierig, sehr schwierig. Ein Sturm ist aufgezogen, er könnte Europa und alles, was uns lieb geworden ist durcheinanderwirbeln. Die Menschen spüren das. Angst hat sich breitgemacht und lässt viele wider jede Vernunft handeln. Wir stehen auf schwankendem Boden. Schwindlig könnte einem werden. Ohnmachtsgefühle machen sich breit. In dieses Vakuum stoßen die autoritären Verführer, sie haben nichts anderes als die eigene Macht im Kopf. Sie brauchen Unsicherheit und reden uns unentwegt ein, wir würden den Boden unter den Füßen verlieren. Gerade deshalb müssen wir jetzt alles tun, um unsere Fundamente zu sichern: Demokratie und Menschenrechte, den Sozialstaat, Offenheit und Toleranz. Ich hoffe darauf, nein ich bin mir sicher, die Oberösterreichische Volkshilfe wird dabei eine wichtige Rolle spielen.