Ich mag sie die Briten. Schon seit meiner Jugend. Ihre Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen, den Sportsgeist, den sie an den Tag legen, um ein Argument durchzubekommen und die Fairness, die sie dem Unterlegenen entgegenbringen. Ich mag ihren Pragmatismus, der darauf basiert, das Wesentliche sehen zu können und ich mag ihren Durchhaltewillen. Auch die Bereitschaft, zu gewissen Eigenheiten zu stehen und bestimmte Traditionen hochzuhalten, finde ich liebenswürdig. Ich mag ihren Humor. Ich bin mit Monty Python großgeworden. Die Poesie der Songs der Beatles hat mich mein Leben lang begleitet. Ohne Hey Jude, Strawberry Fields oder Norwegian Woods wäre mein Leben um vieles grauer geworden.
Meine erste politische Manifestation war, dass ich mein Jugendzimmer mit einem Union Jack schmückte. Über die Musik der Beatles wurden viele aus meiner Generation quasi zu Briten. Lange Haare als Zeichen des Protests gegen alles Zackige, Schroffe, Verzopfte und Unaufrichtige.
1966 war ich zum ersten Mal in England. Damals war es ein Schock für mich, zu erfahren, warum manche Menschen Probleme damit hatten, dass Deutsch meine Muttersprache war. Wenig später machte mir der Song „Mr. Churchill says“ der Kinks deutlich, wie sehr wir es diesen britischen Eigenschaften zu verdanken haben, dass die Nazis besiegt wurden. „We shall fight them on the beaches, on the hills and in the fields“ hatte dieser 1940 im britischen Unterhaus der Welt versprochen. Deswegen mag ich sie besonders, die Briten.
Ich habe in meinem Leben viele Britinnen und Briten kennen und schätzen gelernt. Diese Begegnungen haben mein Leben bereichert. Ich bin sogar zu einem Liebhaber des britischen Biers geworden. Das heißt sehr viel für jemanden, der im bayerisch-österreichischem Grenzgebiet aufgewachsen ist. Doch Spaß beiseite.
Ich werde nicht müde werden, immer wieder zu betonen, wie wichtig mir die Briten sind. Sie gehören zu Europa. Sie haben unsere Zivilisation und unser kulturelles Erbe ganz wesentlich bereichert. Demokratie und Parlamentarismus etwa oder die Gewerkschaftsbewegung. Die Fabian Society, der so wichtige Persönlichkeiten wie Sidney und Beatrice Webb, George Bernard Shaw oder H.G.Wells angehörten, hat maßgeblich die Politik der europäischen Sozialdemokratie geprägt und die Grundlage für das „Goldene Zeitalter des Wohlfahrtsstaates“ gelegt. An der von den Fabiern gegründeten London School of Economics konnte William Beveridge seine bahnbrechenden Sozialreformen vorbereiten.
Auch wenn es gegenwärtig so aussieht: Es ist keineswegs so, dass auf den britischen Inseln nur neoliberales und konservatives Denken beheimatet wären. Das Vereinigte Königreich ist ein offenes Land.
Die Meinungsfreiheit hat einen hohen Stellenwert. Im Lauf der Geschichte hat es vielen auf dem europäischen Kontinent Verfolgten Asyl gewährt, etwa Karl Marx oder Sigmund Freud. Oder vielen österreichischen Patrioten während der NS-Zeit. Einige davon wurden zu meinen Lehrern, wie Karl R. Stadler oder Herbert Steiner.
Und weil das Vereinigte Königreich ein so wesentlicher Pfeiler meines Europas ist, möchte ich es auch nicht verlieren. Europa würde Wesentliches fehlen.
Großbritanniens Schwäche ist, dass es sich seit den 1980-er Jahren ganz und gar der Sache des Marktliberalismus verschrieben hat und es an der Einsicht mangelt, dies als die eigentliche Ursache der Probleme des Landes zu sehen. Alle relevanten Parteien fühlen sich als Erben Thatchers. Die Eiserne Lady hatte Tony Blair sogar einmal als „my greatest achievement“ bezeichnet, was diesem auch sehr geschmeichelt haben soll.
Die entscheidende Frage ist daher nicht, ob das Vereinigte Königreich die EU verlassen sollte. Vielmehr müsste es darum gehen, einen Bruch mit Thatchers Erbe zu vollziehen. Der neue Vorsitzende der Labour Party hat dies auch erkannt und die Losung ausgegeben, dass Großbritanniens Verbleib in der EU mit der Forderung, diese von ihrer neoliberalen Ausrichtung zu befreien. Da Ergebnis wird weitgehend davon beeinflusst sein, ob es ihm gelungen ist, die Menschen damit zu überzeugen.